„Der Revisor“ von Tomasz Kajdanski

„Der Revisor“ von Tomasz Kajdanski

Der Tanz um den Rotstift

Grandioses Tanztheater nach Gogol und Schnittke

„Eine Stadt steht Kopf“ - so der Untertitel einer neuen Tanztheaterproduktion am Anhaltischen Theater in Dessau nach der Komödie „Der Revisor“. Da kann man gar nicht anders, man muss daran denken, dass hier die Freunde der Tanzkunst Kopf stehen, vor Wut und Unverständnis, denn die Tanzsparte sollte eigentlich geschlossen werden.

Dessau, 28/04/2014

„Eine Stadt steht Kopf“ - so der Untertitel einer neuen Tanztheaterproduktion am Anhaltischen Theater in Dessau nach Nicolai Gogols Komödie „Der Revisor“. Da kann man gar nicht anders, man muss daran denken, dass hier die Freunde der Tanzkunst Kopf stehen, vor Wut und Unverständnis, denn die Tanzsparte sollte eigentlich geschlossen werden. Und das obwohl gerade Dessau auf eine besondere Tradition des Tanzes verweisen kann, sowohl zu Zeiten der DDR als auch nach 1989, man denke nur an Künstler wie Gregor Seyffert oder Arila Siegert, die hier für viel Aufmerksamkeit sorgten mit außergewöhnlichen Choreografien und Projekten.

Seit 2009 ist Tomasz Kajdanski Ballettdirektor in Dessau und er versteht es immer wieder mit seinen Kreationen, in denen er zeigt welch unterschiedliche Stile die Kompanie beherrscht, das Publikum zu begeistern. Inzwischen ist die völlige Schließung des Balletts in Dessau vom Tisch, es wird weiter getanzt auf der Bühne, die eigentlich für die Dimensionen von Wagner-Opern gebaut wurde, aber mit einer stark reduzierten Kompanie. Acht Tänzerinnen und Tänzer sollen hier künftig nur noch das Ballett- und Tanzrepertoire gestalten. Über die künstlerische Verantwortung einer solchen Entscheidung der Kulturpolitik kann man sich nur wundern.

Jetzt also die letzte Premiere der bislang 14-köpfigen Kompanie, ein Tanztheater nach Nicolai Gogols Komödie über korrupte Provinzler, der turbulente Tanz einer käuflichen Kommunalverwaltung, kein anständiger Mensch im ganzen Stück. Gogol lebte von 1809 bis 1852. Was er in seinen Komödien auf die Bühne brachte, das bedarf keiner Aktualisierung, man hat den Eindruck heute wie damals sehe man die gleichen Fratzen in dem Spiegel, den der Dichter seinen Zeitgenossen vor Augen stellt.

Natürlich war man gespannt, ob diese aktuelle Tanztheaterproduktion Bezug nehmen würde auf die aktuellen Ereignisse. Sie nimmt Bezug, aber auf sehr geschickte Art. Deutlich, und dies mit großem Augenzwinkern, wird das aber erst am Schluss gemacht. Ansonsten hält man sich an die wirklich grandiose Komödie und - besser kann kann man ja als Künstler gar nicht reagieren - es wird unwahrscheinlich gut, rasant und mitreißend getanzt an diesem Abend. So schnell wie die Tänzer abheben, springen oder ihre Pirouetten drehen, kann man gar nicht immer hinsehen.

Der Ausstatter Dorin Gal hat das Geschehen ein bisschen russisch eingerahmt. Zwischen den stilisierten Birkenstämmen links und rechts ist die Bühne so gut wie leer, mal ein paar spiegelnde Wände, ein Sofa, ein paar Stühle. Dahinter Projektionen, gut eingefügt, mit verschwimmenden Szenen satanischer Spiele von Enrico Mazzi. Das teuflische Spiel beherrscht dann die Szene, und die gehört dem Tanz!

Denn hier geht es ja darum, dass man einen Revisor erwartet, man hält einen armen Schlucker dafür und das offensichtlich gänzlich zeitlose Spiel der turbulenten Korruption mit allen Künsten der Bestechlichkeit nimmt an Fahrt auf. Der falsche Revisor ist alles andere als ein ehrlicher Kerl, nimmt, was er kriegen kann, Scheine und Frauen, denn der Bürgermeister bietet Frau und Tochter an. Irgendwann, dann sind wir wirklich in der Gegenwart, wird Geld nur noch hin und her geschoben, man kann gar nicht mehr noch reicher werden, die Scheine fliegen durch den Raum. Und das ist dann aber doch, gerade durch den Tanz und die Musik, regelrecht dämonisch, gespenstisch - dieser ganz normale kommunale Betrug, und eine Galerie von Fratzen, man lacht mit leichtem Schaudern.

Joe Monagham ist der „falsche“ Revisor, Juan Pablo Lastras-Sanchez der Bürgermeister, das sind in den Hauptpartien und nach einer tollen Idee des Choreografen zwei Gauner auf Augenhöhe, nur mit unterschiedlichen Techniken der Gaunerei - ein choreografischer Schachzug. Monagham hat biegsame Eleganz, er fügt sich rasch in die Bahnen, Lastras-Sanchez hat etwas Animalisches, ist Raubtier; die Männer - außer der Revisor - tragen alle Hosen aus zotteligen Pelzen, ein richtiges Rudel von Raubtieren, ziemlich durchtrieben die Frauen, passt alles gut zusammen. Mitunter kann man den Eindruck haben, der Bürgermeister und der falsche Revisor setzen tänzerisch alles daran, einander zu übertreffen, ganz im Sinne der Handlung. Und ein herrliches, tänzerisch begeisterndes Panoptikum im Zerrspiegel der Komödie bieten alle Tänzerinnen und Tänzer in ihren unterschiedlichen Partien an diesem Abend.

Die Musik wird vom Band zugespielt und ist im Wesentlichen von Alfred Schnittke. Er hat ja eine Gogol-Suite geschrieben, angeregt durch eben diese Komödie, aber auch durch andere Stücke. Schnittke hatte zudem auch Ballett- und viele Filmmusiken geschrieben. Seine Musik ist tänzerisch, rhythmisch, auch ironisch und was die Zitate oder Verfremdungen angeht, nicht ohne Hintersinn. Das fügt sich alles wunderbar zum choreografischen Konzept eines rasant getanzten Teufelstanzes der betrogenen Betrüger, mit denen man in diesem Falle nun wahrlich kein Mitleid haben muss.

Und am Ende, wenn der falsche Revisor über alle Berge ist, und der richtige kommt, und das ganze Spiel von vorn beginnt, dann steht ein kleiner Junge auf der Bühne, ein Knirps im Anzug, mit Schlips und Kragen, und er hält einen übergroßen, gefährlich scharf gespitzten Rotstift.

Tosender Applaus. Hoffentlich mit Nachhall bis Magdeburg, in die Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt, wo die ministeriellen Rotstiftrevisoren sitzen.
 

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