Noch eine Chance für Mutter Erda
Ein Nibelungen-Ballett mit Musik von Wagner in Dessau
Kinder sind ein besonderes Publikum. Sie sind aufmerksam, begeistert und beifallsfreudig. Die Helden auf der Bühne werden zu ihren Lieblingen und doch sind sie sehr kritisch. Solch Publikum konnte man bei zwei Ballettpremieren für Kinder in Magdeburg und Dessau erleben.
Adam Reist, seit 2012 Tänzer im Ballett Magdeburg, inszenierte mit viel Phantasie ein Ballett nach Johann Wolfgang Goethes 1797 verfassten Ballade „Der Zauberlehrling“ für die Podiumbühne. Im Anhaltischen Theater Dessau konnten große und kleine Zuschauer mit „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ eines der bekanntesten Märchen der Gebrüder Grimm als Ballett mit viel Zauber und noch mehr Überraschungen auf der Bühne erleben. Der Dessauer Ballettdirektor Tomasz Kajdański hat das Stück mit der einfühlsamen und doch peppigen, eigens dafür komponierten Musik von Bodo Reinke inszeniert.
In der kleinen Podiumbühne im Keller des Magdeburger Opernhauses sitzen die Zuschauer dichtgedrängt und sind hautnah am Geschehen. Die Bühne ist klein und für die Tänzer ungewohnt eng. Und doch fasziniert von Anfang an, wie hier die Welt des Zauberers als fantastische Kulisse für die Entdeckungen des gewitzten Zauberlehrlings entsteht und sich ständig verwandelt. Die Effekte rufen Staunen hervor und Adam Reist hat sich Phantastisches für die tänzerische Adaption der Zauberlehrling-Ballade einfallen lassen. Der junge Tänzer hat bereits mit seiner Choreografie „Ton:Flamme:Asche“ im Rahmen der „Tanzbegegnungen 5“ beim diesjährigen Magdeburger Tanzfestival seine choreografischen Fähigkeiten unter Beweis gestellt und dabei anschaulich gezeigt, dass er auf ganz besondere Art tänzerisch Geschichten erzählen kann. Es gelingt ihm, die sieben Strophen des Goethe-Gedichtes zu komprimieren und die auf drei Personen fokussierte Handlung zu Musik von Ravel, Bernarde, Hindemith, Albeniz und Schulhoff nachvollziehbar zu machen. Für die Szenen mit dem Besen verwendet er eigens dafür von Paul Dukas komponierte Musik. Ein Prolog, in dem der Zauberlehrling sich auf seine Entdeckungsreise vorbereitet und im Wald nach dem rechten Weg sucht, bis er dem Zauberer begegnet, leitet die Geschehnisse ein. Abweichend vom Original schleppt der Besen nicht Wasser ohne Ende, sondern Holzscheite zum Kamin mit allen seinen Folgen. Aber sonst: Wo Goethe draufsteht, ist auch Goethe drin. Das wunderschöne Bühnenbild und die fantasievollen Kostüme von Susann Stobernack machen das Stück zu einem Erlebnis und die drei Tänzer entwickeln aus ihren Figuren prachtvolle Charaktere. Liam White als Zauberlehrling, der temperamentvoll und neugierig über die Bühne wirbelt, irrt zu Beginn ängstlich durch den Wald und trifft den Hexenmeister, der ihn in sein Schloss einlädt. Juan Pablo Lastras Sanchez ist ein charismatischer Zauberer, der den Zauberlehrling umsorgt und in die Geheimnisse der Magie einweist. Das ergibt tänzerische Momente zwischen Pantomime und Slapstick, effektvoll in Szene gesetzt. Und Meryam-Josephine Cil ist ein Besen zum Verlieben. Sie brilliert nicht nur tänzerisch in den Pas de deux-Szenen mit dem coolen Zauberlehrling, sondern zeigt mit großem körperlichem Einsatz, was geschieht, wenn etwas außer Kontrolle gerät. Zum Schluss stellt der Hexenmeister die Ordnung wieder her und der Zauberlehrling hat seine Lektion gelernt.
„Schneewittchen und die sieben Zwerge“ wurde oft erzählt, verfilmt und parodiert, ist als Geschichte von Schönheit und Neid zeitlos und bisher selten für das Ballett adaptiert worden. Als Ballett-Märchen, choreografiert von Tomasz Kajdański, lässt es auf der Großen Bühne des Anhaltischen Theaters nicht nur Kinderherzen höher schlagen: Die bekannten Märchenfiguren sind nicht nur liebevoll durch ihre Kostüme (Dorin Gal) charakterisiert. Die vielfarbige Ballettmusik von Bodo Reinke, eingespielt von der Norddeutschen Philharmonie Rostock, ist auf die Figuren genau zugeschnitten, ist schmissig und zärtlich, laut und leise, und erinnert an so manchen Hollywood-Film. Übrigens, spätestens wenn die glorreichen sieben Zwerge den Zuschauerraum bevölkern und die Bühne erobern, muss man an den Disney-Klassiker Schneewittchen mit den liebevoll gezeichneten Figuren denken. Nicht nur die Zwerge Seppel, Schlafmütze, Hatschi, Happy, Pimpel, Brummbär und der Chefzwerg zeigen in ihren Auftritten ungestümes tänzerisches Können mit viel Akrobatik und ausdrucksstarken Tanzposen. Dies trifft ebenso auf Nicole Luketic als Schneewittchen und Anna-Maria Tarsarz als Königin zu, die in ihrer Bosheit nicht zu übertreffen ist. Spektakulär ist ihre Hexenkunst in der dampfenden Giftküche. Zu den Höhepunkten der Aufführung gehören die Szenen im Haus der Zwerge, wenn Schneewittchen den Männerhaushalt auf Vordermann bringt und den Zwergen das Benehmen bei Tisch beibringt. In Bann ziehen die einzelnen Soli der Zwerge, die jeden auf seine eigene Weise, tänzerisch und auf die Musik abgestimmt, vorstellen. Nicht zu vergessen, das Finale, wenn Julio Miranda als Prinz mit einem großen Ballon ins Glück entführt. Hier wird allerdings ein wenig gemogelt, denn auf der Bühne küsst der Prinz Schneewittchen wach. Im Märchen ist es aber anders. Das Besondere dieser Inszenierung ist, dass die Szenen der Waldgeister, Blumen und Bienen mit jungen Tanzeleven der Dessauer Ballettschulen, des Tanzforums Dessau, des Rosslauer Karnevalsclub und vom Ludwigsgymnasium Köthen einstudiert wurden.
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