„Frida Kahlo“ von Undine Werchau
„Frida Kahlo“ von Undine Werchau

Zwischen Leidensdruck und Lebensgier

Im Staatstheater Cottbus wird „Frida Kahlo“ Leuchtfigur eines Tanztheaters

Der formidablen Cottbuser Kompanie, allen voran Inmaculada Marín López als überzeugende Titelgestalt, gelingt wiederum eine bewundernswerte Leistung in einer abstrahierenden, technisch gespickten Formensprache zwischen Klassik und Modern.

Cottbus, 23/09/2014

Wer auf die leuchtend blaue Fassade stößt und durch das grüne, rosa umrandete Tor das Haus betritt, würde ohne Kenntnis der Lebensumstände nichts vom Schicksal seiner Bewohnerin ahnen. Auch innen dominieren Farbe, Form und Folklore. Ein viertel Jahrhundert war die Casa Azul, das Blaue Haus, die Heimstatt von Mexikos berühmtester Malerin. Hier lebte sie mit Diego Rivera, dem hassgeliebten Gatten, hier erfuhr sie ihre größten Freuden und tiefsten Leiden, hier reifte die Autodidaktin zur Ikone des mexikanischen Surrealismus. Frida Kahlo, Künstlerin mit deutschen Wurzeln, ist seit ihrem frühen Tod 1954, nur 47 Jahren alt, Gemeingut der ganzen Welt, mit Werkausstellungen, die Besucherrekorde brechen, Filmen und Theaterinszenierungen um ihre bewegte Existenz. Mit brachialer Gewalt setzte ihr ein Johann Kresnik im Tanztheater ein Denkmal. Kurz nach Kahlos 60. Todestag fügt das Ballett am Staatstheater Cottbus ihrem Nachruhm ein weiteres Mosaiksteinchen ein. Undine Werchau, Ex-Cottbuser Tänzerin, greift in „Frida Kahlo“ auf biografische Fakten zurück, lässt sich indes viel Freiraum für assoziative Passagen.

In sieben Teile gliedert die Choreografin ihre neunzigminütige Uraufführung und gibt ihnen Überschriften, die sich auf den Farbkanon nach Kahlos Deutung beziehen. Heike Mondschein hat dafür ein Gerüst aus zwei Etagen entworfen, das jenes Haus in Mexiko-Stadt zitieren mag. Obenauf liegt eine armlose nackte Puppe mit amputiertem Bein, Kahlos Leidensweg vorwegnehmend. Farbiges Licht rastert immer wieder die verschiebbaren Rahmen. Mit „Rot“ eröffnet Werchau den Reigen: Am Totentag, in Mexiko ein ausgelassenes Fest zur Ehre der Verstorbenen, spaziert der personifizierte, grell geschminkte Tod (Denise Ruddock) auf die Szene. Unter den Feiernden befindet sich auch Frida, krank schon, von der Gruppe getragen. Einzelne Bilder illustrieren Episoden ihrer Vita. Der Vater bandagiert das kindergelähmte Mädchen, das steifbeinig tanzt, sich eine Freundin erfindet. Was für die 18-Jährige zum traumatischen Lebensereignis wird, ein Busunfall, bei dem eine Stange ihren Unterleib durchbohrt, gestaltet Werchau als Scooter-ähnliche Fahrt auf Treppen, die kollidieren. Spitalaufenthalte, Operationen, Schmerzanfälle werden Fridas Alltag. Den lebt sie mit Diego Rivera, Mexikos populärstem Wandmaler, der sie liebt, ständig betrügt, selbst mit Fridas jüngerer Schwester, und dennoch bis zum Tod ihre wichtigste Stütze bleibt. Pralle Gefühle, so recht Thema des Tanzes.

Den feuert mit reichlich spanischem Kolorit in Gitarrenklang, Händeklatschern und den typischen Rhythmen die Komposition von cellorazade an, zwei Leipziger Cellisten, denen sich eine vielfarbige, emotionsgeladene Auftragsmusik verdankt. Vieles an authentischen Fakten bringt Werchau unter und liefert als nachdrücklichen Talentbeweis ein dichtes und raumgreifendes Bewegungsgeflecht, kreiert ein so dynamisches wie sensibles Beziehungsgespinst, ergänzt durch Videosequenzen und originale Tagebuchzitate der Malerin, der Wundschmerz, Todesangst, Leidensdruck und Lebensgier Lehrmeister wurden und deren manische Selbstporträts Legende sind. Wenn sich nicht alle Personen und Szenen entschlüsseln lassen, teilen sich doch Facetten von Fridas Persönlichkeit mit: von Verzweiflung auch wegen Fehlgeburt und Beinamputation bis zu Politengagement, Kunsterfolg, Volkszugewandtheit. Der formidablen Cottbuser Kompanie, allen voran Inmaculada Marín López als überzeugende Titelgestalt, gelingt wiederum eine bewundernswerte Leistung in einer abstrahierenden, technisch gespickten Formensprache zwischen Klassik und Modern.
 

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