Fliegen und Tanzen, das hat miteinander zu tun. Schon immer gibt es den Traum der Menschen vom Fliegen und die Sehnsucht nach der Überwindung der Schwerkraft. Bei den Künsten finden diese Menschheitsträume im Tanz ihre schönsten Entsprechungen. Um den Tanz vor dem Flug insbesondere, aber auch um die ambivalenten Gefühle, wenn der Flieger endlich abhebt, geht es im neuesten Ballett von Silvana Schröder mit der eigens dafür von Tom Hodge komponierten Musik für das Thüringer Staatsballett mit dem Titel „Waiting Room“, das jetzt in Gera seine Uraufführung erlebte.
Im von Andreas Auerbach gebauten Warteraum eines Flughafens, wie man ihn sicher weltweit kennt, gibt es 19 tänzerische Episoden in 90 Minuten, die wie im Flug vergehen. Es geschieht so gut wie alles, was man selbst schon erlebt haben könnte, wenn man sich an die Zeiten vor den Abflügen erinnert.Der Warteraum wird zum idealen Ort für getanzte Geschichten, die das Leben diktiert oder auch die Fantasie. Man denke nur an Flugängste, verpasste Flüge, ungeahnte Wartezeiten usw.
Hinzu kommt diese tolle Theatersituation, dass die Menschen, bevor es in die Luft geht, wo die Freiheit grenzenlos sein soll, regelrecht eingeschlossen sind und diese Sicherheitszonen nicht mehr verlassen können. Da gibt es viele Situationen, die im neuen Ballett von Silvana Schröder genauen Beobachtungen entsprechen und dann doch durch die Kunst des Tanzes ins Reich der Fantasien geführt werden und von der gesamten Kompanie auch sehr überzeugend getanzt werden.
Da sind diese lästigen Abtastereien in der Sicherheitsschleuse, die sich sehr gut in tänzerische Bewegungen verwandeln lassen. Oder ein überfüllter Fahrstuhl, kennt man ja, nur keine Berührung, da machen wir die komischsten Verrenkungen. Menschen, die mit ihren mächtigen Rollkoffern geschickt in tänzerische Linien geraten, wenn sie es eilig haben. Mit viel Humor erlebt man einen Überlebenstanz in der gläsernen Raucherlounge. Wenn alle still werden, weil sie eine Ansage verstehen wollen und besondere Körperhaltungen einnehmen. Nicht zu vergessen die herrlichen Bewegungen der Flugbegleiter.
Es gibt auf Erden und über den Wolken immer wieder Schläfer und Erwachende; das ist für den Tanz, fürs Ballett eine tolle Möglichkeit zu zeigen wie viel Kunst, wie viel Tanz den Alltag in besonderen Situationen bestimmt, das kann sogar mal etwas traurig sein, mal grotesk und dann auch wieder sehr humorvoll. Und, wie man es bei Silvana Schröder und der Kompanie erwarten kann, es gibt immer wieder auch ganz andere Ebenen der Fantasien, bei denen die Flüge im Kopf abheben. Einmal bringt diese international besetzte Kompanie allein aufgrund der vielen Sprachen beste Voraussetzungen ein um babylonische Verwirrungen im Zeitalter der totalen Erreichbarkeit mit der eigenen Sprachmusik in Bewegungen zu verwandeln.
Und so wie die vielen Nationen aufeinander treffen, so treffen die Tanzstile aufeinander, Jeremy Gates bringt in einer Variation Elemente der Street-Dance-Art ein, HipHop und Breakdance gehen dann über in neoklassische Pirouetten. Hudson Oliviera, ein junger Mann, der immer irgendwie zu spät ist, so ein einsamer Flughafenträumer inmitten der knackigen Reiseprofis, träumt von einer wunderbaren Frau, die auch prompt im roten Kleid erscheint. Alina Dogodina ist diese Traumfrau, und die Verwirrung des Träumers ist so groß, dass er sie gleich in vielfacher Erscheinung auf dem Laufband sieht. Olivieras verliebtes und verträumtes Solo ist zum Abheben. Und wenn dann endlich zum Finale die Maschine in die Luft steigt, dann sitzt das Traumpaar beieinander. Tom Hodge hat schon einmal mit Silvana Schröder zusammengearbeitet. Der britische Komponist wurde bekannt als Filmkomponist, als Soundmeister für Fashion Shows oder elektronische Kammermusikprojekte. Jetzt hat er im Auftrag des Theaters die Musik für dieses Ballett komponiert, für großes Orchester, gespielt vom Philharmonischen Orchester unter der Leitung von Thomas Wicklein.
Hodge bringt den Klang des Orchesters zusammen mit elektronischen Zuspielungen, eine gute Entsprechung zu den beschriebenen Situation der Menschen zwischen den Zeiten und zwischen den Welten im Warteraum. Er nimmt übliche Signale aus der Flughafenwelt auf, verwandelt sie melodisch, er wechselt zwischen minimalistischen Formen und großem, melodischem Sound. Die Musik ist immer wieder tänzerisch, weniger illustrierend. Thomas Wicklein als umsichtiger Dirigent hält das alles geschickt zusammen und hat zudem ausreichend Achtsamkeit für den Bewegungsrhythmus der Tänzerinnen und Tänzer.
So gelang ein in bestem Sinne unterhaltender Abend, nicht ohne Tiefgang, denn jeder Flug hat ein gewisses Maß an Unabwägbarkeiten, das wird nicht ausgespart aber auch nicht in den Vordergrund gedrängt. Silvana Schröder ist ein bemerkenswerter Ausflug in die Gefilde der tänzerischen Freiheit gelungen.
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