„Celebration!“ am Luzerner Theater: „Malasombra“ von Cayetano Soto

„Celebration!“ am Luzerner Theater: „Malasombra“ von Cayetano Soto

Abtauchen in Parallelwelten

Mit „Tanz 18: Celebration!“ feiert das Theater Luzern 175-jähriges Schaffen

Ein Abend im Zeichen dreier Choreografen, die sich mit ihrer Handschrift im Tanz unserer Zeit vermerkt haben: Uraufführungen von Andonis Foniadakis und Cayetano Soto und eine Schweizer Erstaufführung von Fernando Hernando Magadan.

Luzern, 05/04/2015

„Da ist Frau Perfekt. Da ist Frau Unpassend. Und dann gibt es da noch Dich, Schätzchen – Frau ‚Niemals Unpassendʻ.“ Die sonore Stimme der kubanischen Sängerin Guadalupe Victoria Yolí Raymond, besser bekannt als La Lupe, begleitet das erste Stück des Abends. Die willensstarke Sängerin, deren provokantes Leben in bitterer Armut endete, hat den spanischen Choreografen Cayetano Soto in Bann gezogen. Ihr hat er in Luzern eine kleine Hommage gewidmet.

Entstanden ist ein Stück der puren Emotionen. An Vaudeville-Tänzerinnen erinnernd zeigen sich die Tänzerinnen im Kegel des Scheinwerferlichts. Ihre Kostüme sind schlicht, hautfarben. Ihre Körpersprache verspielt, zuweilen sarkastisch im Subtext. Der Titel des Auftragswerkes „Malasombra“ – der spanische Ausdruck für boshaft oder gekränkt – steht nicht nur für die kubanische Sängerin, sondern auch für die Ablehnung, auf die sie in ihrem tragischen Leben stieß. In seinem Stück zeichnet Soto die „bösen Schatten“ des Menschen in allen Facetten – und wie es ist, aus diesen hervorzutreten. Nämlich einzigartig und anders zu sein als das Korsett der Gesellschaft vorgibt.

Das Luzerner Ensemble schafft mittels expressiver Haltungen und abgespreizten Gliedern eine lebhafte Bewegungssprache. Soto lässt die sechs Tänzerinnen und Tänzer Bewegungsextreme ausloten. Immer wieder wechselt die Choreografie in rasante Passagen – ohne dass die Sinnlichkeit der kubanischen Klänge verloren geht. Die Erotik in der Musik überträgt sich auf den Tanz. Immer wieder dreht sich „Malasombra“ um Anziehungskraft und lotet Gegensätze aus. Kubanisches Tanzfieber umgesetzt in zeitgenössische Tanzsprache.

Der Titel „Naked Ape“ erinnert an die Theorie, dass wir Menschen vom Affen abstammen. Im Hintergrund ertönt eine Collage aus Tierstimmen und Violinkonzerten von Johann Sebastian Bach. Über die Jahrhunderte haben wir uns weiterentwickelt, doch sind unsere menschlichen Instinkte geblieben. Diese beiden Gegensätze schält Fernando Hernando Magadan in seinem Stück heraus: „We are still apes, just naked“. In der Schweizer Erstaufführung von „Naked Ape“ kollidieren nackte Instinkte mit virtueller Zukunft. Technik und Leben nach Maß prallen auf Urspünglichkeit und Nacktheit.

Die Bühne zieren auf Draht aufgezogene Skulpturen, die aus Stoff gefertigt sind. Jede der Skulpturen ist mit einem anderen „Sound-System“ versetzt. Diese individuelle Ebene steht im Gegensatz zur künstlich-sterilen Bühnenumgebung. Einer der fünf Tänzer schlüpft in die Rolle eines Professors, der eine erfundene, artifizielle Sprache spricht. In dieser unverständlichen akademischen Sprache erklärt er dem Publikum die Welt. Der Choreograf stellt die Frage, ob der Mensch fähig ist, die Welt zu verstehen und zu kontrollieren, auch wenn es sich um menschliche Urtriebe handelt.

„Naked Ape“ ist in Zusammenarbeit mit dem NDT (Nederlands Dans Theater) und Klangkünstler Harmen Straatman entstanden. In seiner Luzerner Version zeigt Magadan eine unverzierte, asketische Bewegungssprache: Manchmal weich-fließend, dann wieder eckig-eingeengt. Bewegungen in Slowmotion gehen in zuckende Körper über. Der Tanz als natürliches Element des Ausdrucks und der Identität: Der Choreograf rückt zwischenmenschliche Kommunikation ins Zentrum seines Schaffens – inmitten einer überladenen und technologisierten Welt.

Der Grieche Andonis Foniadakis entführt uns in eine Schattenwelt. Eine Welt fernab des Tageslichts. „Shades“ ist ein Spiel mit der Dunkelheit, in der Foniadakis Licht als Symbol einsetzt: Leuchtstoffröhren, die den Menschen scheinbar durchleuchten oder Stroboskoplicht, wie wir es aus Discos kennen. Damit bringt der Choreograf wortwörtlich Licht ins Dunkel: Die Tänzerinnen und Tänzer können sich nicht länger mit Dunkelheit bedecken. Sie müssen ihre versteckte Seite preisgeben und sich den Blicken der Zuschauer stellen. Ein Symbol für den gläsernen Menschen, für unser Dauerüberwachtsein im Alltag.

Für „Shades“ hat sich Andonis Foniadakis auf eine Zeitreise in die 80er und 90er Jahre von New York City eingelassen. Das Nachtleben in dieser Metropole hat er als exzessiv und anonym erlebt. Eindrücke, die auch sein Stück versinnbildlicht. Das Publikum erlebt eine Flucht vor der Realität: starke exstatische Bewegungen von gesichtslosen Gestalten aus einer virtuellen unwirklichen Welt. In einer Sequenz durchleuchtet das Ensemble eine Gestalt mit Leuchtstoffröhren, die wie Lichtschwerter aus einer Sciencefiction-Geschichte anmuten. Die Lichtröhren scheinen den Tänzer zu durchbohren.

Das Stück verbindet Performance-Kunst mit neuer Technologie. Der Abend ist von einem elektronischen Klangteppich unterlegt, komponiert von Komponist und Visual Art-Künstler Julien Tarride. Eine Musik, die perfekt zu Foniadakis radikaler zeitgenössischer Attitüde passt, welche sich durch das ganze Stück zieht. In der Dunkelheit erzählt „Shades“ in Bildern aus Parallelwelten, die wie Passagen aus der Zukunft anmuten. Die Inszenierung ist eine Einladung zu einer geheimnisvollen Reise in Dunkelheit und Licht des menschlichen Seins.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern