„Le Corsaire“, Corps de Ballet des Mariinsky-Balletts

„Le Corsaire“, Corps de Ballet des Mariinsky-Balletts

Buntes Treiben auf dem Sklavenmarkt

„Le Corsaire“ mit dem Mariinsky-Ballett im Festspielhaus Baden-Baden

Vielleicht ist Pjotr Gusevs Fassung von 1987 historisch gesehen etwas zu tanzlastig. Doch sie schafft einen wunderbaren Rahmen für die technische Virtuosität und Finesse der immer noch konkurrenzlosen St. Petersburger Kompanie.

Baden-Baden, 27/12/2015

Bis vor einigen Jahren war die Zahl der Ballettkompanien, die einen vollständigen „Corsaire“ im Repertoire hatten, noch recht begrenzt. Im 21. Jahrhundert machten sich zwei bedeutende klassische Ballettkompanien in München und Moskau an die Rekonstruktion von Marius Petipas Sankt Petersburger Fassung aus dem Jahr 1899. In der Kompanie, in der Petipas Ballett uraufgeführt wurde, hat sich hingegen in der Zwischenzeit einiges verändert. Das Werk wurde von mehreren Erben Petipas bearbeitet, zuletzt von Pjotr Gusev, der 1987 die sehr rasante, pantomimearme und tanzreiche Fassung konzipierte, die das Mariinsky-Ballett nun dem Baden-Badener Publikum präsentierte.

Da es in dieser „Corsaire“ Version hauptsächlich um tänzerische Brillanz und Virtuosität geht, hängt das Ballett dramaturgisch an einem sehr dünnen Faden. Die Tänze der Sklavinnen, die sich im ersten Akt auf dem Markt winden, bevor sie im Serail des senilen Said Pascha verschwinden, haben zwar einen gewissen exotischen Reiz, doch wirkt die ganze Haremsszenerie und der ständige Raub und Verkauf von Frauen auf Dauer etwas entnervend. Doch schließlich nimmt alles ein gutes Ende: der Pirat Konrad und sein Sklave Ali erretten die jungen Griechinnen Medora und Gulnara aus dem Harem und segeln mit ihnen neuen Abenteuern entgegen.

Höchst eindrucksvoll und opulent ist die Ausstattung von Taymaruz Murvanidze (Bühnenbild) und Galina Solovyova (Kostüme): zu Beginn und am Ende segelt ein eigensinniges Schiff über die Bühne (das auch bei gutem Wetter immer wieder rückwärts fährt) und der Marktplatz gleicht einem Gemälde von Hundertwasser. Manchmal gerät das Ganze allerdings gefährlich nahe an die Kitschgrenze: so beispielsweise im Jardin animé, der vor einem zauberhaften schillernden Dekor mit plätschernden Brunnen erblüht. In diesem wird die Bühne nach und nach mit einer solchen Fülle an zuckersüßen rosa Tutus, rosa Perücken und Rosengirlanden überflutet, dass die Gefahr einer Magenverstimmung droht.

Glücklicherweise wird die Szene vom Mariinsky-Ballett mit derart atemberaubender Artistik interpretiert, dass kleinliche Zweifel an der Ästhetik oder Kohärenz der Handlung in den Hintergrund treten. In keiner anderen Kompanie ist das Corps de Ballet so exquisit, sind Arme und Oberkörper so eloquent, stimmt jede Linie und jede Biegung des Handgelenks so millimetergenau. Alina Somova als Medora sieht inmitten dieser rosafarbenen Vision aus wie eine kostbare Porzellanpuppe, die ihre irreal langen und biegsamen Glieder scheinbar mühelos in schwindelerregende Höhen wirft und mit unvergleichlicher Grazie über die Rosengirlanden trippelt. Neben ihr kokettierte Nadezhda Batoevas exzellente Gulnara mit dem Pascha, dem sie durch ihre eindrucksvolle Technik und überlegene Ausstrahlung buchstäblich den Kopf verdrehte. In den weiteren weiblichen Solorollen glänzten Tatiana Tiliguzova, Yekaterina Ivannikova und Sofia Ivanova-Skoblikova als Odalisken durch hohe Beine, Musikalität und felsenfeste Balancen.

Timur Askerov gab einen romantischen, ungewöhnlich eleganten Piratenanführer, der einen überzeugenden Kontrast zu seinem furiosen Widersacher Birbanto (Alexei Tyutyunnik) bildete. David Zaleyev verlieh seiner Figur des perfiden Sklavenhändlers Lankedem erfrischend komisches Profil. In der Virtuosenrolle des Ali erstaunte Vladimir Shklyarov durch einen Pas de ciseaux, in dem er mit dem vorderen Bein fast vertikal Richtung Kronleuchter schoss und sich kaum dazu entschließen konnte, wieder zum Boden zurückzukehren.

Die Musik, die auf Adolphe Adams Partitur für Jules Perrots Pariser Fassung des „Corsaire“ im Jahr 1856 basiert (mit zahlreichen Zusätzen unter anderem von Cesare Pugni, Leo Delibes und Riccardo Drigo), wurde von Alexei Repnikov sehr temporeich dirigiert – so drehte beispielsweise Alina Somova eine Serie einfacher und doppelter Fouettés von hierzulande unbekannter Schnelligkeit –, doch wirkten einige paukenschlagende musikalische Akzente zu ohrenbetäubend aufdringlich. Der Abend bewies, dass das Mariinksy-Ballett seine Klassiker weiterhin auf einem von den Hauptfiguren bis zum Corps de Ballet durchgehend hohen Niveau tanzt, das weltweit seinesgleichen sucht.

Besuchte Vorstellung: 26.12.2015

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