Simone Sandroni bleibt in Bielefeld
Choreograf Simone Sandroni verlängert seinen Vertrag bis 2022
„Wir sind viele“, ist das diesjährige Motto des Theater Bielefeld. In der Sparte Tanz sind besonders viel neu. Denn Simone Sandronis „TANZ Bielefeld“ folgt auf Gregor Zölligs in Ostwestfalen überaus populäres „TanzTheaterBielefeld“. Anlässlich der ersten Tanzpremiere lädt Intendant Michael Heicks das Publikum ein, die Theater-Community zu vermehren. Auf der „Beitrittskarte“ ist der Satz zu vervollständigen „Tanz ist für mich ...“. Dutzende Bekenntnisse sind bereits an Pinnwänden im Foyer ausgestellt. Da wird Tanz definiert als „Balsam für die Seele“ oder „Faszination bewegter Bilder“, „Harmonie und Dynamik“ und „dank der heutigen Vielfalt von Techniken und Themen die spannendste, schönste der Künste“. All das findet sich auf der Bühne wieder, wenn die fünf Tänzerinnen und fünf Tänzer sich mit Sandronis „Geschichten, die ich nie erzählte“ vorstellen.
Die Schwedin Johanna Wernmo betritt die Bühne als Erste – barfuß, in Top und Hotpants –, gibt sich schüchtern und verrät dann aber doch aus ihren Lebensgeschichten, dass sie nicht aufhören könne zu tanzen. Sie wirbelt durch den Raum, dass man ihr das Geständnis glatt abnimmt. Andere erzählen von weniger schönen ersten Tanzerfahrungen – Saori Ando etwa vom Ritus des traditionellen japanischen Tanzes, Joris Bergmans vom Einpeitschen klassischer Posen. Tommaso Balbo ‚profiliert’ sich als Teenager bei der Tarantella, darf aber ‚nur‛ als Pinocchio auf der Bühne debütieren.
Tempo und Bewegungsvielfalt der kleinen Truppe sind atemberaubend – zumal wenn Kenan Dinkelmann die Ballettstange auf Schwung bringt und in rasantem Tempo auf der Spielfläche kreiseln lässt. Blitzschnell und behände schlüpfen, kullern und rollen die anderen in letzter Sekunde darunter durch. Später hauchen alle – manche schwer zu verstehen – geplatzte Lebensträume ins Mikrofon. Noriko Nishidate wurde keine Prinzessin, die Costa Ricanerin Elvira Zuñiga Porras nicht Tierärztin, der elegante Japaner Sho Takayama nicht Verkäufer, die schöne Italienerin Chiara Montalbani nicht Psychologin. Ihr Landsmann Gianni Cuccaro „wäre nie Tänzer geworden, wenn es keine Duette gäbe“.
Da darf er sich in diesen 75 Minuten weidlich austoben. Denn alle vier großen Szenen der lockeren Choreografie haben auch reizvolle Zweierformationen – diagonal über die Bühne gehüpft, skurril miteinander verschlungen, Annäherungsversuche von ihm an sie – und vor allem einen herrlich langen Tango für eng umschlungene Paare. Mitten hinein senkt sich ein Mikrofon vom Schnürboden, aber als Noriko Nishidate es greifen will, entpuppt es sich als Schlauch, der die Bühne unter Wasser setzt und alle kladdernaß macht. Es folgt die köstlichste, raffinierteste Wasserrutschpartie in Badehosen, die wohl je auf einer deutschen Bühne zu sehen war. Wie sagte doch ein Zuschauer so recht über Tanz? „Lebensfreude pur!“ Im langen gesprochenen Epilog verrieten die Tänzer aus sechs Nationen noch, die Bühne sei ihre „Heimat“. Das klang reichlich plakativ.
In Bielefeld hat sich, so scheint‛s, mit diesem launigen Auftakt, ein Paradigmenwechsel vom eher kopflastigen zum bewegungsbetonten Tanz vollzogen. Aber Sandroni, Mitgründer der belgischen Kompanie Ultima Vez, hat natürlich viel mehr im Gepäck als diese temperamentvoll heitere Begrüßungsshow. Mit „Coincidance“ im Januar sind Kurzchoreografien von seiner vormaligen belgischen Kompanie „Déjà Donné“, Richard Siegal und Wim Vandekeybus zu sehen. Zwei eigene Uraufführungen stehen mit „Zwischen Himmel und Hölle“ im April auf dem Programm.
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