Simone Sandroni bleibt in Bielefeld
Choreograf Simone Sandroni verlängert seinen Vertrag bis 2022
Ist der Blick zurück – ohne Zorn – richtig, wichtig, gut? Was kann er nutzen, und wem? Es gibt natürlich viel mehr Fragen und noch mehr Antworten zu der Rückschau auf einen künstlerischen Weg. Gemeint ist hier nicht die Retrospektive auf das Lebenswerk eines epochalen Künstlers, sondern ganz konkret die Neueinstudierung früherer Stücke eines Choreografen. Gregor Zöllig tut eben dies im ersten Bielefelder Tanztheaterprogramm der Spielzeit mit dem Titel „Just in Time“.
Gefragt wird: was ist der richtige Moment – wann kann ich ausflippen, wann konfrontiere ich den Partner mit meiner Wut auf sein Verhalten. Meist, so Zölligs Beobachtung, „poltern“ die Menschen einfach los oder resignieren, haben keine Kontrolle über ihre Emotionen, lassen sich unüberlegt von ihnen überrollen – machen „Tabula Rasa“ (so der Titel seiner Kurzchoreografie aus dem Jahr 2000). Zu den repetitiven Klängen von Arvo Pärts gleichnamigem Orchesterstück spielen sich Alltagsszenen mit keifenden Frauen und verdatterten Männern ab. Der Wortschwall geht in „Tiraden“ aus Körpersprache über – immer wieder dieselben oder ähnliche temporeiche Bodenübungen vollführt das zehnköpfige Ensemble. Eine Variante ist die nächste Episode, das Solo „Tom Trauberts Blues“ (von 2001), getanzt von Tiago Manquinho auf Tom Waits' Song: benebelt, lustlos bis depressiv wälzt sich ein Mann (bei Waits ist er Soldat) ruhelos auf seiner Matratze, hebt sie wie seine Lebens- und Gewissenslast auf, taumelt, fällt, wird unter ihr begraben. Durch zwei Schlitze wühlen sich seine Hände, recken sich hilfesuchend in die Höhe – aber niemand rettet ihn.
Wie eine tänzerische Lehrstunde wirkt hinterher „The Tempting Innocence“ von Gastchoreograf Simone Sandroni. Um den Zustand von Unschuld soll es gehen. Gesehen habe ich persönlich nur eine Art Bewusstwerdung einzelner Körperteile: so demonstrieren die Tänzer das Kreisen des Hinterteils, das Vorwölben von Kinn oder einzelner Brüste und verbinden schließlich die Einzelübungen zu einem geschmeidigen Bewegungsablauf. Wenn's gelingt – wie bei Elvira Zuniga oder Tiago Manquinho – macht das Zuschauen Spaß. Die hintergründige Philosophie wäre entbehrlich. Aber gerade sie kultivierte auch Zöllig in seinen Osnabrücker Jahren, aus denen seine beiden kleinen Stücke stammen. Deshalb wohl hat er sie wiederbelebt – genau im richtigen Augenblick also. In Bielefeld ist er choreografisch längst darüber hinausgewachsen – und seine Kompanie auch.
Nächste Vorstellungen: 25. Okt., 3., 8.+ 18. Nov. 2009
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