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„Verklungene Feste“ und „Josephs Legende“ mit dem Wiener Staatsballett
Gefühlsmäßig hatte schon längere Zeit mehr keine Ballettpremiere an der Wiener Staatsoper einen solch anhaltenden, dichten Applaus, der sich für die Protagonisten und John Neumeier dann in ein großes, weites Bravo-Meer verwandelte. Dieses illustre Ereignis, zu dem der Richard Strauss-Abend zum 150. Geburtstag des Komponisten mit der Erstaufführung der „Verklungenen Feste“ und der Neueinstudierung der „Josephs Legende“ wurde, hat etliche Bezüge zur Stadt Wien.
Die Merkwürdigkeit um Richard Strauss' eigenwilliges Verständnis von Tanzbarkeit, von Erzählbarkeit, von seinen äußerst disparaten Dramaturgien und Ideen wie Ballett zu funktionieren habe, sei an dieser Stelle beiseite gelassen. Die Absage und das Ausscheiden des GMD Franz Welser-Möst aus dem Wiener Haus am Ring, sei hier insofern erwähnt, als der Dirigent zum ersten Mal einen „Joseph“ dirigiert hätte und die Premieren-Disposition sich doch einige Jahre lang nach ihm ausgerichtet hatte. Für ihn sprang der Finne Mikko Franck ein. Strauss' wichtigstes Ballett, die „Josephs Legende“, die 1914 als Auftragswerk der Ballets Russes, nicht zuletzt wegen Missverständnissen zwischen den Autoren Harry Graf Kessler, Hugo von Hofmannsthal und Strauss sowie zahlreicher Umbesetzungen, vor allem jener des ursprünglich engagierten Tänzers und Choreografen Wazlaw Nijinsky, floppte, wurde 1921 von Berlin aus durch den Deutschen Heinrich Kröller rehabilitiert. Richard Strauss verpflichtete den vielbeschäftigten Neuformulierer des klassischen Bühnentanzes neben dessen Münchener Tätigkeit nach Wien. Und in Wien war, etwas großzügig gesagt, die „Josephs Legende“ seit 1922 auf dem Spielplan; bis 1944 in der Fassung von Kröller, fünf Jahre später in der Regie von Erika Hanka bis Ende der 50er-Jahre. Carl Raimund jun., der Joseph-Tänzer der späten 30er- und 40er-Jahre, erzählte, dass exakt dieses Tanzstück für das Ensemble damals den Stellenwert eines „Schwanensee“ hatte.
Wien hatte sich also die „Josephs Legende“ einverleibt und als 1977 John Neumeier, anfangs zögerlich, zusagte, an der Donau eine Neufassung zu gestalten, fand dieses spezifische „Wiener Ballett“ seine Fortsetzung. Es wäre eine weitere Auseinandersetzung wert, ob denn Richard Strauss' süffig-rauschhafte Fin de siècle-Klangwolke voll dramatischem Erbeben, wie sie sich im „Joseph“ darstellt, dem Publikum in Wien über die Generationen einleuchtender war als etwa das Werk Igor Strawinskys, der ja nun ein veritabler Ballettkomponist geworden war. Seinen „Petruschka“ wollten die Wiener Philharmoniker 1913 beim Gastspiel der Ballets Russes in Wien nicht spielen. Als Kröller dieses Werk 1924 am selben Abend wie die Strauss-Uraufführung „Schlagobers“ herausbringen wollte, gab es viele Gründe, diesen Plan fallen zu lassen, Strawinskys „Pulcinella“, eine Bearbeitung u.a. von Werken von Pergolesi, wurde gespielt.
Neumeiers Fassung in der goldenen Ausstattung des phantastischen Realisten Ernst Fuchs ist trotz der 38 Jahre, die seither vergangen sind, immer noch vielen Menschen ein Begriff. Mit dem 21-jährigen „Hamburger“ Kevin Haigen als Joseph, der phänomenalen Judith Jamison von der Alvin Ailey Dance Company und dem Wiener Solotänzer Karl Musil als Engel war Neumeier die Übersetzung dieses exotischen Tanzdramas in ein Stück von heute um Lust und Begierde und letztlich Sehnsucht nach etwas Unerfülltem gelungen. Die Tanz-Rolle der Sulamith entfiel, die davor mimisch angelegte Frau des Potiphar wurde dadurch auch musikalisch in ihrem Wirkungskreis aufgewertet. Jamison und Haigen beherrschten die Bühne, später dann auch Donna Wood und weitere Besetzungen.
Also etliche der Zuschauer, die am Mittwoch in der Wiener Staatsoper saßen, waren wohl auch mit der Frage gekommen: Geht sich „Joseph“ ein weiteres Mal aus? Was, wenn die Erinnerung trügt, der Kitschfaktor, den das Stück in sich trägt, überwiegt? Es ging sich aus dank des neuen Bühnenbilds, das Neumeier für seine Hamburger Fassung 2008 erstellte: statt Opulenz, sie tönt vollmundig aus dem Orchestergraben, Nüchternheit - und puristische Eleganz von Akris für die Kostüme. Dank Neumeiers Sichtweise, den Joseph (Denys Cherevychko) in seiner Reinheit und dadurch unverblümten Überzeugungskraft als Subjekt der Begierde sowohl für Potiphar (Roman Lazik) als auch für Potiphars Weib, wie die Rolle heißt, zu zeigen. Und diesen Joseph durchaus in Kenntnis seiner Sexualität als sensitiven Mann reagieren zu lassen, den nur Potiphars plötzliches Auftauchen und in der Folge „sein Schutzengel“ (Kirill Kourlaev) vom Vollzug abhält. Ein Drama um Begierde und unerfüllte Leidenschaft mit viel neoklassischem Tanzmaterial für Joseph und seinen Engel und großformatigem, von Schwüngen durchsetztem expressivem Vokabular für Potiphars Weib. Es funktioniert auch deswegen wieder, weil Neumeier, Kevin Haigen und Sonja Tinnes diese „Josephs Legende“ mit den in Wien engagierten Tänzerinnen und Tänzern überzeugend und intensiv geprobt und einstudiert haben. Dass der behende, flinke Denys Cherevychko den Titelhelden tanzen kann, war fast zu erwarten. Haigen hat hier sicher auch darstellerisch auf ihn eingewirkt. Roman Lazik ist ein sympathischer, etwas weicher Potiphar, Kirill Kourlaev ein athletisch starker Engel mit verhaltener Miene. Die Überraschung des Abends aber war die bisher auf keinem Plakat zur „Josephs Legende“ abgebildete 26-jährige dunkelhäutige Tänzerin Rebecca Horner aus Wien. Groß, kraftvoll und barfuß gelingt ihr die tänzerische Durchdringung dieses Weibs des Potiphar: Von ruhiger Erhabenheit bis zur Bewegungsexplosion entfacht sie in dem reichen, wohl von Jamison mitgeprägten Neumeierschem Vokabular ein weites Spektrum an Gefühlen und ist obendrein sicher und souverän. Horner ist die Entdeckung des Abends in einer insgesamt sehr gut getanzten Premiere von Format.
Der „Josephs Legende“ voran gingen die „Verklungenen Feste“ von Strauss in der musikalischen Zusammenstellung von Neumeier (2008): Ineinander verwobene Duette von Frauen und Männern, die offenbar nach dem Ende eines Festes, ein Bankett wird nach und nach abgeräumt, auf der Suche nach Halt, möglicherweise auf der Suche nach Selbsterkenntnis sind. Etwas scheint verloren gegangen, das sich nach der kleinen Orchesterbesetzung für die Strauss'schen Couperin-Bearbeitungen nach der Pause mit einer der größten Orchesterbesetzungen noch einmal herstellt: pralles Leben mit Symbolgehalt und einem irrlichternden Schuss Glauben.
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