Beeindruckend klare Bildfantasie
In Paris bringt Angelin Preljocaj „Siddharta“ zum Tanzen
Arthaus Musik legt Angelin Preljocajs „Siddharta“ für die Pariser Oper neu auf
Es komme alles wieder, „was nicht bis zu Ende gelitten und gelöst ward“, heißt es in Hermann Hesses 1921 abgeschlossener Erzählung „Siddharta“. Um den Weg zu sich selbst geht es und die Anfeindungen bis dahin. Erträumt hätte sich der begnadete Autor sicher nicht, dass dieser Stoff, einem indischen Mythos nachempfunden, einst auch die Tanzbühne erobern würde, jüngst etwa in Gießen in Tarek Assams Choreografie.
Schon 2010 hatte Angelin Preljocaj ein gleichnamiges Ballett für die Pariser Oper entworfen. In neuer Auflage bringt es Arthaus Musik nun wieder in den Handel. Auch die Zweitbegegnung hinterlässt einen starken Eindruck. Preljocaj erzählt keine Geschichte, sondern macht in sinfonischen Bildern ohne jedes Parthos, doch mit sanften Anleihen bei einigen Klassikern die Stationen sichtbar, die es braucht, bis Königssohn Siddharta als Stellvertreter des Menschen schlechthin in den Zustand der Bedürfnislosigkeit findet, wie ihn das Nirwana verspricht. Über der Ruhelage der Erleuchtung, gestützt von seiner Erweckerin, erlischt im Finale das Licht in der Opéra Bastille, dem Ort der aufgezeichneten Uraufführung. Keinerlei Requisiten gibt Bühnenbildner Claude Lévêque bis dahin dem Tanz bei, verlässt sich ganz auf den atmosphärischen Lichtraum von Dominique Bruguière: Das Dunkel erhellt einzig hellfleckiges Gewölk. Der nachdenklich bedrohlichen Stimmung fügt die bisweilen sperrige Originalkomposition von Bruno Mantovani sparsam ihre oft düster hallenden Akzente hinzu, ob Trommelwirbel, die Aufschreie des Blechs oder Streicherschwebungen.
In dieser Klang- und Lichtkulisse durchleidet der junge Prinz die Etappen auf seinem Pfad durchs Leben. Gesichtslose Gestalten mit behelmten Köpfen agieren unter einem gewaltigen Pendel als das Urchaos, spreizen und wälzen sich. Zu einem Motiv der Elektrogitarre, seinem Erkennungszeichen, platzt Siddharta in diese Welt und findet die Höflinge zufrieden räkelnd auf rollbaren Goldbarren, wo auch seine Frau Platz nimmt. Zum Vater steht er in Widerspruch, trifft zum ersten Mal auf seine Erweckerin im raffinierten Schleier, durchscheinend und dünn wie eine Seifenblase. Doch so leicht geht die Chose nicht. Gemeinsam mit Freund Govinda begibt er sich auf die Suche nach einem anderen, besseren Leben und schließt sich - wieder so ein eindringliches Bild - stockbewehrten Pilgern an. Erst nach ausschweifenden Sexerfahrungen der Freunde mit verführerischen jungen Mädchen auf herabgelassenen Plateaux kommt die Erweckerin zum Zuge: In einem fulminanten Duett voller Flug- und Schwebedrehungen findet Siddharta, satt von der Lebens- und Welterkenntnis und bereit für einen Wechsel, zu seiner wahren Bestimmung.
Preljocaj verknüpft klassische Elemente und freie Erfindung zu einer ganzkörperlich plastischen, bisweilen artistisch furiosen oder zeitlich zerdehnten Bewegungssprache aus einem Guß. Die großartige Besetzung ist mittlerweile ein Stück Tanzgeschichte: „Siddharta“ Nicolas Le Riche hat seinen Dienst in der Oper quittiert, seine „Erweckerin“ Aurélie Dupont erweckt als neue Direktrice nun die gesamte Kompanie. Susanna Mälkki aber darf den Orchestern der Welt auch weiterhin derart gespannte Töne entlocken wie in dieser historischen Aufnahme. So schnell ändern sich die Dinge im Tanz – oder auch nicht.
Angelin Preljocaj: „Siddharta“, Ballet et Orchestre de l'Opéra national de Paris, Opéra Bastille, 2010, Arthaus Musik, 100 Min.
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