Das Lächeln der tanzenden Gemälde
Das Ballett der Pariser Oper in Carolyn Carlsons „Signes“
Angelin Preljocaj choreografiert „Siddharta“ an der Pariser Opéra
Nicht die Masse macht’s. „Siddharta“, so heißt es in einer Kritik, ist ein Stück für fünfzig Tänzer, „das imposanteste Ensemble, an das er sich je wagte“. Seine eigene Kompanie, das Ballet Preljocaj in Aix-en-Provence, ist nur halb so groß – und das ist Angelin Preljocajs vierter Kreation für die Pariser Opéra durchweg anzumerken. Alles erscheint wie aufgeblasen, den gigantischen Bühnenverhältnissen der Bastille so angepasst, dass die Details, die seine Choreografien sonst so ausgezeichnet haben, darüber völlig verloren gehen.
All das bei einem Stoff, der nach Überwindung verlangt, nach Vergeistigung und einer Kunst, die auf Konzentration setzt statt auf Show, die das eigentliche Ereignis ohnehin nur relativiert: die „Erweckung“ eben jenes Siddharta Gautama nämlich, der als der Buddha in die Menschheitsgeschichte eingegangen ist. Zumindest dem Namen nach steht er im Mittelpunkt eines anderthalbstündigen Balletts, das seine Beweggründe beleuchtet und in 16 Bildern ein Leben zeigt, das den Luxus eines fürstlichen Elternhauses hinter sich lässt und in der Überwindung aller Leiden seine Erfüllung findet.
Zunächst wähnt man sich eher in einem anderen Stück. Wie ein Pendel schwingt ein ausgeglühter Meteorit hin und her, während sich auf der dunklen Bühne à la Béjart zehn Schwarzhemden zu einer Todesschwadron formieren, deren Sinn sich nur schwer erschließt. Auch die Erscheinung Siddhartas schafft nicht unbedingt Klarheit. Lange Zeit sieht das Ballett vielmehr danach aus, als wollte Angelin Preljocaj mit seiner Kreation insgeheim Petipas „La Bayadère“ Konkurrenz machen. Dazu passend: die „Boten“ im fünften Bild, die barfüßig, dafür jedoch in weiße Tüll-Négligés gehüllt, dem Königreich der Schatten zu entstammen scheinen. Allein, ihr Auftritt erfolgt wohl sukzessive, nicht aber serpentinenhaft. Weniger kunstvoll vereint sie Preljocaj am Ende symbolkräftig im Kreis – selbst der wird in Paris von manchen Beobachtern noch als choreografische Errungenschaft gefeiert.
Schon bei seinem „Schneewittchen“ für das Staatsballett Berlin hat Preljocaj zuletzt eher mit Effekten beeindruckt als mit seinen Schritten. Nicht anders bei „Siddharta“. Auch hier entflieht die „Erleuchtung“ allen Nachstellungen am Seil, und für Tableau Nr. 12 holt Claude Lévêque, ein überaus prominenter „Artiste plasticien“ aus Nevers, sogar eine gigantische Mondfähre aus seinem Hangar. Auf der geht’s dann allerdings recht handgreiflich zu: ein letztes Mal erliegen Siddharta und sein Cousin Ananda, wie es so schön auf dem Programmzettel heißt, der „Versuchung körperlicher Lust“. Vollkommen befriedigt, folgt seine Erleuchtung auf dem Fuß: ein erhabener, in jeder Hinsicht berührender Augenblick, in dem sich die Körper Siddhartas und der „Erweckung“ genannten Figur verschmelzen. Ein Augenblick auch, der einen das einstige Genie Angelin Preljocajs noch einmal ahnen lässt – und der Jérémie Bélingard wie Clairemarie Osta so inspiriert und feinfühlig zeigt, wie man sich das von einem Tänzer nur wünschen kann.
Komponiert hat „Siddharta“ übrigens Bruno Montovani, und auch er schöpft aus dem Vollen, ohne die Bastille-Oper wirklich zu füllen. Doch Susanna Mälkki, Directrice musicale des Ensemble intercontemporain, hat sein Ballett verinnerlicht, und ohne Stab dirigiert sie das riesige Orchester so bewegt, dass man versucht ist, ihr mehr auf die Finger zu schauen als auf die Füße durchweg begeisternder Tänzer. Und das will was heißen bei einer Musik, die nicht zu überhören ist!
www.operadeparis.fr
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