Ballett mit Juwelen aus der Neuen Welt
Die erste Premiere der Direktion von Manuel Legris in der Wiener Staatsoper
Manuel Legris’ Tänzerinnen und Tänzer werden immer besser, die mehrteiligen Programme leider nicht. Diese sehr vereinfachte Feststellung mag man nach der ersten Herbstpremiere des Wiener Staatsballetts im Haus am Ring treffen. Und sie kommt einem über die Lippen, weil rückblickend von den doch sehr vielen dreiteiligen Programmen, die Legris seit 2010 anbietet, kaum ein Werk überlebt hat. Gemeint sind da natürlich nicht Meisterwerke des 20. Jahrhunderts von George Balanchine, wie nun die recht gute Neueinstudierung der „Symphonie in C“ durch Ben Huys, sowie von Jerome Robbins oder Jiří Kylián, sondern Übernahmen mediokrer Stücke, deren Repertoirebestand im Nu angezweifelt werden darf. Im aktuellen Fall ist das „Murmuration“ (2012, Houston Ballet) des ehemaligen New York City Ballet-Tänzers Edwaard Liang, der das dicht-nervöse „Violinkonzert Nr. 1“ von Ezio Bosso als Grundlage seiner choreografischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Formationsfluges von Staren wählte.
Während das Staatsopernorchester unter Faycal Karoui und Konzertmeisterin Albena Danailova an der Geige die Intensität des Werkes für großes Orchester auf- und abschwellen lassen, entwickelt sich auf der Bühne ein eklektizistischer Wirbel aus Neoklassik, energetisch aus dem Körper geschlagenen Versatzstücken von choreografischen Mustern, die an moderne Herangehensweisen in den 80igern erinnern, und manch zirzensischem Einsprengsel, der Galaprogrammen entliehen scheint. Vier Paare und neun Tänzer sind mit abenteuerlichen, weil unorganisch anmutenden Kombinationen beschäftigt, die einen regelrechten Patchworkcharakter zeitigen. Viel zu viel von viel Bekanntem, da ist die Langeweile nicht weit. Die Musik gibt Tempi vor und löst Emotionen aus, der Tanz sucht dem zu folgen – stets ein schwer lösbarer Ansatz. Wenn man sich etwas wünschen dürfte, hätten auf die bald 70-jährige „Symphonie in C“ ruhig Mister B.s „Vier Temperamente“ oder auch „Agon“ folgen können, um dann mit dessen immer noch unglaublich ‚heutig’ anmutender „Symphony in three Movements“ zu schließen.
Natürlich muss Zeitgenossenschaft in der Choreografie gefördert werden. Allerdings benötigt man dafür nicht nur Gespür in der Auswahl der Choreografen, sondern es sollte auch, wenn es sich um Uraufführungen handelt, ein helfender Intellekt und mindestens eine praktische Hand dramaturgisch eingreifen können. Eine Produktionsdramaturgie scheint es im Fall der Uraufführung „Blanc“ von Daniel Proietto, der seit 2013 beim Norwegischen Nationalballett tanzt, nicht gegeben zu haben. Dem sympathischen, sehr versatilen und interessanten Tänzer, wie einem Videotrailer des Wiener Staatsballetts zu entnehmen ist, passieren eine Reihe von ‚Fehlern’ bei seinem „ersten Handlungsballett“, die seine Unerfahrenheit in diesem Metier unterstreichen. Dabei war seine Idee, sich mit der Welt von Michail Fokins Schlüsselwerk „Les Sylphides“ zu beschäftigen, durchaus berührend. Nichts weniger als eine Wiederbelebung der Romantik schwebte ihm vor. Von Beginn an setzt er auf den Schauspieler Laurence Rupp, den er Poet nennt. Einer, der aber nicht ins Publikum spielen darf, sondern eine vierte Wand hochzieht und gesenkten Kopfes in die Musik (Chopin und vom Zeitgenossen Mikael Karlsson) hinein murmelt, aber nie über sie drüber kommt; es bleibt bis zuletzt unklar, ob er verstanden werden soll oder nicht. Der Text erschließt sich auf diese Art nicht.
Dass er seiner Muse nicht in dem ihm vorschwebenden, in lachsfarbenen langen Tutus mit Flügel ausgestatteten Sylphiden-Ensemble begegnet, sondern in Gestalt einer ihm auch nicht bleibenden Dame in einer Herbstszene, liest sich lieblich. Welch technische Mittel samt Videoprojektion bei Verkleinerung der Bühne aber aufgewendet werden müssen, um sich zu erklären, um unterschiedliche Welten, Leere und Fülle anzudeuten, die letztlich effektlos bleiben, spricht nicht für Proiettos Erfahrung mit der praktikablen Übersetzung von Gedanken in einen theaterwirksamen Raum. Vor allem die Verdoppelung des sprechenden Poeten durch den Tänzer Eno Peci, der mit Ausnahme einer kurzen Sequenz nicht tanzt, geht nicht auf. Eine Figur hätte genügt. Vielleicht sollte der Choreograf als angeblich tanzhistorisch affiner Künstler Théophile Gautiers Ansichten über Tanz, Handlung und vermeintliche Literatur lesen. Denn mit Proiettos elegantem Sylphiden-Reigen hätte sich wohl viel träumen lassen.
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