Nach reiflicher Überlegung
Martin Schläpfer zum neuen Direktor des Wiener Staatsballetts berufen
Seine letzte akklamierte Choreografie für das Wiener Staatsballett wird dann doch eine großformatige Abschieds-Choreografie, obwohl Martin Schläpfer zuvor im Rahmen einer Matinée noch erklärt hat, dass er diese Uraufführung nicht als solche verstanden wissen wolle. Noch einmal setzt der zum Ende der Spielzeit scheidende Chefchoreograf und Direktor einen großen Teil des Ensembles – 46 Tänzerinnen und Tänzer – für seine Neuinterpretation der der „Pathétique“, der letzten Symphonie Tschaikowskys von 1893, ein. Er tut es mit der ihm eigenen Art des scheinbar assoziativen Umgangs mit der musikalischen Vorlage, die menschliche Regungen und Verfasstheiten von nahezu ekstatischen Ausbrüchen über versuchte Zusammenkünfte bis zur schwebenden Introvertiertheit evoziert.
Zappelnde, angezogene Füße, zitternde Oberkörper, aber auch klassische Linie und tanztheatrale Elemente wie Weinflaschen, die kurz auf den Köpfen der Tänzer thronen, bilden ein üppiges Potpourri, das eine eklektizistische ästhetische Auseinandersetzung des Choreografen mit seinen fünf sehr divers gestalteten Repertoire-Jahren in Wien spiegeln mag. Wie ein vielstimmiger Widerhall von Marius Petipa bis Hans van Manen und dem jüngsten Cunningham-Eingang. Auf diese Art ziehen in der von Thomas Mika abstrakt eingefassten Bühne Szenen elegant-fließend gewandete Menschen vorbei (Kostüme von Catherine Voeffray), die Schläpfers puzzle-artige Welt-Miniaturen als Reaktion auf Tschaikowskys hochaufpeitschende Musik symbolisieren mag.
George Balanchine: „Divertimento Nr. 15“
Christoph Altstaedt, der das Orchester der Staatsoper mit Verve und Umsicht dirigiert, leitet den Abend mit einer Neueinstudierung des Mozartschen „Divertimento Nr. 15“ in der Choreografie von George Balanchine (1956) ein. Werke des Meisters des Neoklassizismus bestimmen das Wiener Repertoire seit den späten 1950er Jahren mit, Tänzerinnen der „Divertimento“-Premieren von 1969 und 1990 saßen in der Premiere. Sandra Jennings vom Balanchine Trust brachte das zwar heiter angelegte, tanztechnisch (Tempo, Phrasierung, Beweglichkeit u.a.) aber äußerst schwierige Schritte-Bouquet der ausgesuchten Tänzerinnen- und Tänzerriege nahe, in der Natalya Butchko (1. Variation), Olga Esina (2. Variation) und Kiyoka Hashimoto (6. Variation) auffielen.
Merce Cunningham: „Summerspace“
Trotzdem: Merce Cunninghams nicht minder berühmtes Sechspersonen-Stück „Summerspace“ (1958) in der pointillistischen Ausstattung von Robert Rauschenberg als zweiter Teil des Abends legt die Latte noch höher. Die Philosophie des I-Ging-Meisters mit dem notwendigen Aplomb sinnhaft zu tanzen, kann wohl kaum in knapp bemessener Zeit verstanden und eingeübt werden. Johannes Piirto und Milica Zakić wurden als feine Gäste für die entsprechend zeitgenössische Interpretation von Morton Feldmans „Ixion“ für zwei Klaviere geholt. Die von Ashley Chen und Cheryl Therrien vom Cunningham Trust verantwortete Umsetzung der Cunninghamschen Ästhetik mit den Wiener Tänzerinnen und Tänzern hinkt da hinter her. Die entsprechende Sicherheit für die speziellen Dreh- und Sprung-Inventionen in Raum-Segmenten zur nicht zählbaren Musik mag sich in großen und kleinen Bildern in der ausgedehnten Vorstellungsserie einstellen.
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