„El Circulo Eterno / Hommage an Harald Kreuzberg“ von Norbert Servos und Jorge Morro; Silvia Ventura und Jorge Morro

„El Circulo Eterno / Hommage an Harald Kreuzberg“ von Norbert Servos und Jorge Morro. Tanz: Silvia Ventura und Jorge Morro

Hommage an einen Großen des Ausdruckstanzes

Das DanceLab Berlin feiert im Dock 11 Harald Kreutzberg

Mit „El Circulo Eterno“ und „H.K.-Quintett“ kreieren Norbert Servos und Jorge Morro eine Hommage den Ausdruckstänzer. Und doch sind beide Werke Kommentare aus heutiger Sicht.

Berlin, 11/06/2016

Der Mensch, der tanzt, erlebe ein neues Daseinsgefühl, ihn erfasse ein Bewegungsrausch, der ihn verwandle und erhebe. Der das um 1937 schreibt, Harald Kreutzberg, war selbst ein solch Begnadeter. Früh entdeckte man das außergewöhnliche Talent des 1902 in Reichenberg Geborenen, sich im Tanz auszudrücken. Über Dresden bei Mary Wigman und Hannover kam er an die Staatsoper Berlin, wo Max Terpis eben eine moderne Kompanie einrichtete. Schnell erregte er Aufsehen und stieg auf weltweiten Tourneen, meist als Solist, zum ‚neuen Nijinsky’ auf. Einer, der durch die Kraft seiner Körperlichkeit und ein schier unbegrenztes Arsenal an Gesten nahezu alle Themen abarbeiten konnte, die sich ihm als Mensch stellten: als Engel des Jüngsten Gerichts oder der Verkündigung, als König, Beweinender, Orpheus, Orest, Pan, erster Mensch in seinem Verstricktsein, aber auch als heiterer Till Eulenspiegel, trunkener Fischer, Vagabund oder Frühlingsbote. Als Kreutzberg 1968 starb, hatte er als Mann in der Frauendomäne Ausdruckstanz Leuchtspuren hinterlassen und beiläufig auch die Zeit des Nationalsozialismus glimpflich überstanden.

„Der ewige Kreis“ heißt einer seiner wichtigsten Zyklen, darin er, jeweils maskiert, Typen vom Zecher über die Eitle und die Dirne bis zum Kranken und zum Verbrecher gestaltet. Nicht nur mit bewundernswertem Darstellertum, sondern auch ohne Ansehen des Geschlechts. Insoweit darf er als Vorkämpfer der heutigen Genderdebatte gelten. Es war dies nur einer der vielen Aspekte des tänzerischen Chamäleons Kreutzberg, die das Choreografenduo Norbert Servos und Jorge Morro bewogen, in einer Hommage an ihn zu erinnern, möglicherweise in Vorbereitung seines 50. Todestags. Zwei Stücke sind dabei entstanden: das Duett „El Circulo Eterno“ als Reminiszenz an eben jenen Zyklus und das Tanzfonds-Erbe-Projekt „H.K.-Quintett“, das ebenfalls im Dock 11 seine Uraufführung erlebte. Beide Werke sind Kommentare aus heutiger Sicht. Findet sich das exzellente Duett noch dichter bei Kreutzberg und seinem Bewegungsmaterial, so löst sich das Quintett in einen Diskurs gegenwärtiger Tänzer auf: über die Individualität hinter der stilisierenden Maske.

In Jan Freeses dreiseitig weißem Kabinett mit transparentem Bodenspalt stehen als Pulk die Tänzer, die Slavna Martinovic unabhängig vom Geschlecht in geschlitzte Röcke gewandet hat. Papiermasken tragen sie, bewegen sich extrem langsam vorwärts, zitieren Armgesten Kreutzbergs, Messen, Würgen, Pst-Haltung, verhindern jeden Ausbruchsversuch aus der Gruppe. Musik von Max Richter, ob Klavier oder Streicher, sowie elektronische Schwebungen begleiten, wie sich in einer Folge kurzer, teils überlagerter Sequenzen die Maskierten selbst entdecken, ihre Fragen an sich und die Umwelt artikulieren. Einen, Javier Alemán, scheint eckig die Angst zu drücken; der vom HipHop kommende Martijn Joling bäumt sich akrobatisch auf dem Boden; die grazile Lorena Justribó Manión macht in der Arena der Umsitzenden kokett weiblich werbend auf sich aufmerksam. Dann stellt sich jeder namentlich und mit Adjektiven vor, die auf Kreutzbergs Soli zielen könnten. Auch Aggressionen bauen sich auf, die Kleiderordnung wechselt, bis das Chaos gegenwärtigen Individualisierungswahns alle animalisiert – bis auf Jorge Morro, der unbeirrt an der tänzerischen Form festhält und am Ende seine Mannschaft zum rinnenden Sand der Zeit vereint. Als Fantasiegestalt im roten Langmantel und mit Buschwerkkopf war er zuvor über die Szene gegangen, anknüpfend an Kreutzbergs „Hallelujah“ oder seinen „Frühlingsboten“.

Was an beiden Auseinandersetzungen mit dem großen Dramatiker des Ausdruckstanzes besticht, sind die souveräne Form, mit der Servos und Morro ihre varianten choreografischen Gebilde im Raum platzieren, der immer wieder erkennbare Bezug auf ihr Vorbild, selbst wenn das Geschehen ins Tanztheater von heute ausufert, und freilich die mustergültige Präzision der Tänzer, allen voran Silvia Ventura und Jorge Morro, die Interpreten bereits des Duos um den „Ewigen Kreis“. Auch einige der Soli und Duette im „Quintett“ sind Exempel sinnerfüllten Tanzes.

Nochmals 11.+12.6., Dock 11, www.dock11-berlin.de
 

Kommentare

Noch keine Beiträge