A Room Full of Particles. A Living Archive
Interviewreihe zum Förderprogramm DIS-TANZ-SOLO: Isabelle Schad, Tänzerin und Choreografin
Lea Moro und Isabelle Schad sind erstmals gemeinsam in den Sophiensælen Berlin zu sehen
„Da haben sich zwei gefunden“, raunt es durchs Publikum nebst ausdauerndem Applaus. Gefunden haben sich in „Solo für Lea“ Isabelle Schad und Lea Moro. Damit trifft eine beständige Avantgardistin zeitgenössischer Choreografie auf eine neue choreografische Hoffnungsträgerin, wie das Jahresmagazin „tanz“ Lea Moro jüngst auszeichnete. Jedoch lassen sich diese beiden Protagonistinnen der Freien Szene Berlins keineswegs allein mit derartigen Zuschreibungen begreifen, genauso wenig wie ihre gemeinsame Produktion „Solo für Lea“.
Lea Moro steht am Bühnenrand. Bis zum Applaus wird dieser Moment der letzte sein, in dem das Gesicht von ihr zu sehen ist. Es folgt Dunkelheit, doch bevor sich die Augen daran gewöhnen können, erscheint sie im erneut aufgedrehten Licht im Zentrum der Bühne, mit dem Rücken zum Publikum, die Arme über dem Kopf, die Hände umfassen den jeweils anderen Ellenbogen, der Rippenbogen pulsiert, dadurch auch der Oberkörper bis zu den Armen und dem letzten Fingerglied. Abwechselnd umfasst sie mit den Händen die Handgelenke, Ellenbogen und Schultergelenke des jeweils anderen Arms. Bald beginnen die Arme unter der pulsierenden Wiederholung frei zu schweben, selektieren sich vom Rest des Körpers, der schwarz gekleidet vom Schwarz der Bühnenumgebung gänzlich geschluckt wird. Unter dem diffuser werdenden Licht zeichnen sich Lea Moros präzise bewegte Arme immer schärfer ab. Dazu eine Klanglandschaft aus Kratzen, Streichen, Schreiben, wie Pinselborsten auf Leinwand oder doch Filzstift auf Papier. Eine surreale Umgebung entsteht, in der Arme nicht mehr als Arme zu begreifen sind und Lea Moros Körper nicht als der einer Frau, nicht als der eines Menschen, denn ohne Gesicht, mit zahllosen Gliedmaßen, niemals aufrecht, im Grunde fremd. Zugleich ist der zergliederte Körper kein Unbekannter: Laurent Goldrings Bilderserie „Petite chronique de l'image“ (1995-2002) verhalf ihm zu erster Sichtbarkeit. Die derart unkonventionellen Perspektiven auf den Körper bewegten sich mit „Self Unfinished“ (1998) in der Kollaboration von Goldring und Xavier Le Roy schließlich auf die Bühne und steigerten sich in der kontinuierlichen Zusammenarbeit von Goldring und Isabelle Schad zu einem Höhepunkt des Unabgeschlossenen, dem das HAU Berlin im Jahr 2015 eine einwöchige Werkschau widmete.
In „Solo für Lea“ überlagern sich nun all diese Spuren: Die Körperpraxen der Isabelle Schad vom Body Mind Centering über die Embryologie bis zum Zen-Shiatsu sind durchzogen vom Kamerablick des Laurent Goldring. Der Körper von Lea Moro wiederum bereitet die Bühne für jene jahrelange Fusion aus Blick und Bewegung, Innen und Außen, Sichtbarkeit und Berührung, Bild und Tanz. Daher erscheint „Solo für Lea“ von Zeit zu Zeit wie ein Wiedersehen mit dem Körper der Isabelle Schad über den der Moro. Ein faszinierendes Wiedersehen gerade in jenen Momenten, die den Blick auf den nackten Rücken freigeben, den Oberkörper dabei auf die Oberschenkel gelegt, die Hände auf die leicht gebeugten Knie gestützt, die Haare kopfüber nach unten hängend. Lea Moro wiederum setzt mit ihrem Körper ihre ganz eigenen Spuren: Es entstehen frei schwebende Haarknäuel, kopflose Torsomenschen, Vexierbilder, die jedoch unaufgelöst im Dazwischen verbleiben, Körpercluster, deren Zusammenspiel eine wundersame Choreografie hervorbringt, kaleidoskopartige, psychedelische Figurationen, längst nicht so farbenfroh, jedoch mit immenser Sogwirkung, atmende Hautkugeln, deren Knochen und Muskelstränge ein Eigenleben führen, ein weiblicher Akt, der jedoch nie wirklich als Akt zu begreifen ist.
Das letzte Bild ist wunderbar klar gesetzt, ein haariger Punkt inmitten von Hautspiegelungen. Das Licht erlischt und bringt wiederholt die Erkenntnis mit sich, dass all diese Zuschreibungen nicht das zum Ausdruck bringen, was sich auf der Bühne gerade zeigte. In Angesicht von „Solo für Lea“ fehlen die Worte. Gerade darin lässt sich die choreografische Signatur einer Isabelle Schad erkennen, ebenso wie in der Ensembleleistung von Licht, Klang, Bewegung, Kostüm, Blick und Raum.
„Solo für Lea“ ist noch am 15. und 16. Oktober 2016 in den Sophiensælen Berlin zu sehen.
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