Traditionell
Fotoblog von Dieter Hartwig
Fulminanter Tanz bei den Movimentos Festwochen in Wolfsburg
Keine leichten Zeiten für das Festival „Movimentos“, das der Volkswagen-Konzern seit 2003 in seiner Autostadt zu Wolfsburg ausrichtet. Einerseits steht das Unternehmen durch den Abgas-Skandal in Rede und muss mit Stafgebühren in Milliarden-Höhe rechnen – also sparen. Zum anderen verlässt Maria Schneider, neben Bernd Kauffmann künstlerische Leiterin der Festwochen, das Boot. Große Verdienste hat sie sich bei den 14 Ausgaben von „Movimentos“ erworben, besonders durch Förderung des Tanzes, der seit Beginn Rückgrat des Festivals ist und seither weltweit führenden Kompanien im eigens umgerüsteten KraftWerk ein 1000-Plätze-Podium bot. Mit 20 Prozent Einsparung in der diesjährigen Staffel, die süffisanterweise das Motto „Liebe“ überschrieb, hat das Festival seinen Beitrag geleistet und dürfte eine Zukunft haben – ist sich VW seiner künstlerischen Verantwortung für die Region und darüber hinaus wohl bewusst: Kultur schafft emotionale Werte und besänftigt etwas die Wogen.
Außer Jazz, Klassik-Konzerten, Lesungen, Schauspiel, insgesamt 61 Veranstaltungen mit vielen Stars ihrer Sparte, erwies sich der Tanz wieder als Publikumsmagnet. Alle besuchten drei der fünf Gastspiele boten zeitgenössischen Tanz auf hohem Niveau. Zu seinen wenigen Erneuerern zählt der Brite Akram Khan mit familiären Wurzeln nach Bangladesh. Seit anderthalb Dezennien mixt er die virtuose Technik des nordindischen Kathak mit modernem Tanz zu oszillierenden Erzählungen zwischen Tradition und Gegenwart. „Until the Lion“ greift eine Randfigur des indischen Nationalepos Mahabharata auf: Prinzessin Amba, die entführt, am Ende vom Entführer wie vom einstigen Geliebten zurückgewiesen wird und in ihrem Zorn von den Göttern die Wandlung zum Mann erfleht, um Rache nehmen zu können. Mit zwei Frauen als zwei Aspekten von Amba und sich als Entführer setzt Khan die Geschichte als archaisches Ritual zu Live-Musik und -Gesang um: auf kreisrundem Fleck mit den Jahresringen eines Baums, den während der Stockkämpfe Spalte rot erglühen lassen, als würden Erdplatten sich trennen. Im Rauch ihrer Empörung tötet Amba den Entführer, sein Haupt wird Trophäe einer Genugtuung, der Einsamkeit folgt und deren rätselvolle Bilder sich einbrennen.
Preisgewürdigt wie Khan ist auch sein kanadischer, ebenfalls in London ansässiger Kollege Russell Maliphant, der sich, vom klassischen Tanz kommend, seit 1988 zeitgenössischen Formen zugewandt hat. Sein Programm „Conceal | Reveal“ vereinte drei Arbeiten aus zwölf Jahren und war Höhepunkt der diesjährigen Festwochen. Der Titel „Verhüllen | Enthüllen“ bezieht sich auf Michael Hulls grandioses Lichtdesign im Gleichklang mit einer atemberaubend harmonischen, fast unwirklich fließenden, dabei so lässig geschmeidigen Bewegungssprache, dass man sich ihrem suggestiven Sog weder entziehen kann noch mag. In raffiniertem Wechsel zaubern Scheinwerfer geometrische Muster, überlappend oder als Kaskaden, auf den Boden; die Tänzer fügen sich darin zu skulpturalen Gebilden in adagio-akrobatischem Kanon oder zu oft parallelen Soli, denen Lichtkegel Geborgenheit verleihen. Maliphants einzigartige Ästhetik kündet von Frieden und Liebe in einer eher kriegerisch aggressiven Gegenwart.
Seit seiner Gründung 1979 im norditalienischen Reggio Emilia ist das Aterballetto die Vorzeigekompanie ihres Landes, erst unter Amedeo Amodio, dann ein Jahrzehnt unter Italiens Maestro Mauro Bigonzetti. Nun sucht sie nach einer neuen Identität und öffnet jüngeren Choreografen die Tür. Ihren 17 nicht weniger exzellenten Tänzern als denen von Maliphant schneiderte Ex-Mitglied Giuseppe Spota mit „Lego“ ein Bausteinwerk, das sich selbst ein Bein stellt: Bezaubernde Projektionen sinkender Würfel oder sich auftürmende Großstadtarchitektur, die sich in Schnee auflöst, lenkt derart vom rotgewandeten, zumal eher gymnastischen Tanz von 42 Minuten Länge ab, dass er trotz poetischer Schlusslösung im Ungefähren und Diffusen strandet.
Eine choreografische Handschrift kann man dem Griechen Andonis Foniadakis hingegen bestätigen. Sein Halbstünder „Antitesi“ besticht durch stringente Komposition, klare Form, fulminante Wechsel und aufschäumende Dynamik, die sich jedoch gegen Ende an selbstläufiges Chaos verliert. Dennoch: Das Aterballetto kann sich in dem rasanten Leporello aus Duos und Gruppenszenen als Ensemble von europäischem Format präsentieren.
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