Zukunfts-Gestalter
Vertragsverlängerungen bei der Bayerischen Staatsoper und beim Bayerischen Staatsballett
Malve Gradinger im Gespräch mit Sidi Larbi Cherkaoui
Während die Flüchtlingskrise und jetzt der Brexit die EU in ihren ohnehin nicht soliden Grundfesten bedrohlich erschüttern, gibt sich die Bayerische Staatsoper in ihrer Festwoche betont europäisch und weltbürgerlich. In Jean-Philippe Rameaus Opéra-ballet „Les Indes galantes“ (1735) ersetzte der Librettist Louis Fuzelier frech erneuernd die sonst in diesem Genre üblichen Götter und Helden durch ‚normale’ Menschen aus der Türkei, Persien und Nord- und Südamerika - Menschen aus eben jenen fernen Ländern, die als „Indes“ galten. Rameaus erfolgreichstes Werk inszeniert jetzt im Münchner Prinzregententheater sozusagen ein Über-Europäer: Sidi Larbi Cherkaoui. Als Sohn eines Marokkaners und einer flämischen Mutter aufgewachsen in Antwerpen zwischen Katholizismus und Koran, brennt er privat und in seiner Arbeit für eine menschliche und kulturelle Offenheit gegenüber dem Fremden, dem Andersartigen. Der Barockspezialist Ivor Bolton, hier auch musikalischer Leiter, dirigiert das Münchner Festspielorchester und den Balthazar-Neumann-Chor. Vor der Premiere haben wir Cherkaoui zum Gespräch getroffen.
Herr Cherkaoui, durch ihre Gastspiele bei der Ballettfestwoche 2011 und bei der Dance Biennale 2012 hat man in München bereits von Ihnen „Babel“ und „Puz/zle“ gesehen, Stücke, die Sie nach eigenen künstlerischen Vorstellungen mit ihrer eigenen Kompanie Eastman entwickelt haben. Mit „Les Indes galantes“ spielen Sie noch mal in einer ganz anderen Liga: Der Text ist vorgegeben. Gefordert sind Sie zudem als Choreograf u n d als Regisseur...
Sidi Larbi Cherkaoui: Intendant Nikolaus Bachler war schon vor acht Jahren an einer Zusammenarbeit interessiert. Damals fühlte ich mich noch nicht bereit. Jetzt ist in mir, auch durch Herrn Bachler, ein Vertrauen gewachsen. Und Rameau: das ist französische Musik, in der ich mich zuhause fühle. Auch seine Themen haben mit mir selbst zu tun – lassen sich durchaus heutig interpretieren. Krieg und Frieden ist e i n Thema. Im Prolog verführt Bellone die jungen Leute, in den Krieg zu ziehen...
Wie der sogenannte Islamische Staat...
Sidi Larbi Cherkaoui: Ja, zum Beispiel. Aber im Prolog sagt gleichfalls Amor, Bellones Gegenspieler, „Prenez vos armes“, also „Greift zu den Waffen“, quasi im Namen der Liebe. Aber man kann nicht f ü r die Liebe kämpfen, man muss einfach lieben. Da scheinen Doppeldeutigkeiten und Widersprüche auf, die mich hellhörig machen. Unsere Welt ist dabei, sich ständig zu verändern, ist sehr komplex. Es gibt immer auch die andere Seite der Medaille. Deshalb müssen wir uns vor Ideologien hüten, ganz allgemein auch davor, reduktionistisch zu denken. Ich wehre mich dagegen, Verbrechen, all diese jüngst verübten Attentate, mit der Religion in Verbindung zu bringen.
Ein Opéra-ballet besteht aus mehreren Entrées. Das sind jeweils in sich abgeschlossene Handlungen, in diesem Fall tragikomische Liebesgeschichten.
Sidi Larbi Cherkaoui: Ja, es geht um die Fragen, was ist Liebe, Treue, Eifersucht, Obsession, Besitzergreifen. Im vierten Teil „Les Sauvages“, dem Auftritt der Indianer, kommt zum Ausdruck, dass manche Menschen ihr Begehren und Gefühl ausschließlich auf eine Person konzentrieren, andere sind gerne polyverliebt. Und da sehe ich wiederum unsere heutige Zeit, wo jeder seine erotische und sexuelle Veranlagung ausleben kann.
Sie inszenierten 2014 am Brüsseler Opernhaus La Monnaie „Shell Shock“ des belgischen Komponisten Nicholas Lens, Ihre erste Oper überhaupt. War das ein Lernprozess in puncto Musiktheater?
Sidi Larbi Cherkaoui: Ich habe damals zuerst mit den Tänzern gearbeitet, und hatte dann zu wenig Zeit für die Sänger. Diesmal habe ich das besser austariert.
„Les Indes galantes“ hat all diese speziell Rameau'schen Qualitäten: erweiterte Harmonik, Klangfarben in Fülle und tänzerischen Rhythmus. Den hat Rameau wohl verinnerlicht, als er zu jungen Jahren für die Jahrmärkte in den Pariser Stadtvierteln komponierte. Diese Art „danses provencales“ im türkischen Teil oder „Der Tanz der großen Friedenspfeife“ der Indianer waren zu Rameaus Zeiten sicher so etwas wie ein Pop-Hit und swingen ja auch heute noch...
Sidi Larbi Cherkaoui: Ja, seine Musik hat manchmal etwas Folkloristisches, das zu besonderen Bewegungsformen inspiriert. Für mich von Vorteil ist, dass nicht durchgehend gesungen wird wie in der Oper, sodass mir reine Musik bleibt, um die Geschichte mit Tanz zu erzählen.
Wie sieht Ihr Tanz hier aus? Durch Ihren Start im HipHop, ihre spätere Zusammenarbeit mit Shaolin-Mönchen, mit Flamenco-, indischen und chinesischen Tänzerinnen haben Sie den Ruf des absoluten Grenzgängers.
Sidi Larbi Cherkaoui: Man wird nicht einzelne Elemente aus anderen Tanzstilen und -traditionen erkennen. Meine Sprache ist einfach ‚zeitgenössisch’. Sie zeigt, wie die Welt heute ist: Die Menschen lösen sich von ihrer Kultur, machen sich auf den Weg in andere Länder. In meiner Eastman Kompanie, mit der ich neben meiner Leitung des Königlich Flämischen Balletts weiterhin arbeite, gibt es Tänzer aus Japan, den USA, Großbritannien, Deutschland. Es sind Persönlichkeiten, die auch eigenständig choreografieren, die mich seit Langem kennen und die hier ihre je verschiedenen Vorschläge einbringen. In dieser kreativen Gemeinschaftlichkeit entsteht dann diese Inszenierung.
Die Premiere im Münchner Prinzregententheater am 24.7., 18 Uhr ist ausverkauft: die Premiere kann man live sehen auf staatsoper.de/tv. Ausverkauft auch am 26. und 27. 7., Restkarten für 29., 30. 7.
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