Wiedergänger, Frauenpower und Generationendialog

Ungarns zeitgenössische Tanzszene gastiert zum dritten Mal im Dock 11 in Berlin

Neben Ferenc Fehérs „Hello Zombie!“ zeigt das Festival acht weitere Produktionen, verantwortet diesmal auch von neuen Namen der ungarischen Tanzszene.

Berlin, 08/12/2016

Ein Knäuel liegender Leiber hinten auf der bis auf die Mauern leeren Szene zieht die Blicke auf sich. Lange verharren sie so, bis akustische Stromstöße sie aufschrecken, auf die Knie treiben und wieder zurück in die Lage, ehe das Dreierwesen vorwärts rutscht und robbt. Rauschen separiert den einen Tänzer, zwei agieren synchron, bis kurz die Anziehung siegt und die Liegeformation, einer auf zweien, neu herstellt. Aus ihr bewegen sich die Tänzer ruckend und zuckend durch den Raum, unter Zuhilfenahme der Arme, die Beine funktionslos wie ein Nixenschwanz. Selbst als sich die welken Kreaturen erheben und mit abgerissenen, tief im Schritt hängenden Hosen über die Szene taumeln, verdeckt Haar ihre Gesichter. Michael Jacksons „Thriller“-Gestalten scheinen leibhaftig. „Hello Zombie!“ heißt das Trio, mit dem im Dock 11 das wiederum vom Bakelit Multi Art Center Budapest präsentierte dritte Festival des zeitgenössischen ungarischen Tanzes eröffnet wurde.

Zwei Tänzer umarmen sich, als würden Hilflose aneinander Halt suchen, und drehen sich in wildem Taumel. Knochenlos scheinen die Körper, in jede Richtung verformbar wie Amöben oder Comic-Figuren. Collagenhafte Klänge, meist Maschinengetöse, häufig permanent wiederholt als Dauerschleife, treiben einen Tanz an, der sich den verschiedenen Rhythmen demonstrativ aussetzt und dennoch nicht seinen Charakter aufgibt. Mit rundem Rücken und hängendem Kopf, breitbeinig mit gebeugten Knien, mehrfach ins Extrem ausgehöhltem Bauch ziehen leblose Wesen ihre Bahn, torkeln und tappeln. Dann reißen sie sich die Kleidung vom Leib, als würden sie sich häuten, stehen nackt jeder in seinem Lichtkreis, bis sie wieder in ihre Stoffhülle schlüpfen. Mit Eigenlauten, den Rücken gewölbt, liegen sie, ehe Atemstöße zum Kanon werden.

Auch im Stand gibt es keine Festigkeit, Beine knicken ein, isoliert und minimal bewegen sich die einzelnen Körperteile. Angsterregend steigert sich die Collage und mit ihr der Zorn der Gestalten auf ihre fixe Physis. Krampfig kontrahieren sie, Skulpturen in steter Veränderung und Verzerrung, wirken wie instinkthafte Tiere. Die entfesselten Schlenkerbewegungen des Beginns tauchen als Zitat auf, Scheinwerferbatterien richten sich grell auf die Zuschauer und schlucken zeitweise den Tanz. Gegen Ende des 50-minütigen Exzesses hält das Trio die Arme vorm Gesicht und lauscht im Dunkel dem ohrenbetäubenden Lärm vom Band.

Was Ferenc Fehér für sich, Gábor Czap und Balázs Szitás an abstrusen Formen und rasanten Raumrastern erdacht hat, lässt viele Deutungen zu. Eine von ihnen könnte lauten: In einer zunehmend instabiler und undurchschaubarer werdenden Welt der Orientierungslosigkeit wird man zum willenlosen Irrläufer und Wiedergänger, von Mechanismen gesteuert, auf die man keinerlei Einfluss hat. Konsequent bis zur Selbstpreisgabe gestaltet der Choreograf sein Anliegen und beeindruckt durch ein in sich stimmiges Stück Tanztheater mit dem Mut auch zur Hässlichkeit, wo Tanz gern die Schönheit des Seins hervorkehrt. Fehérs seismografische Zustandsbeschreibung erschreckt und fesselt, nicht zuletzt durch die Unbedingtheit der drei Interpreten.

Acht weitere Produktionen, verantwortet diesmal auch von neuen Namen der ungarischen Tanzszene, haben Festivalleiterin Ágota Harmati und ihr Kuratorenteam für Berlin ausgesucht. So fragen an einem Abend vier kurze Soli nach der Situation der Frau: angeregt durch die österreichische Performancekünstlerin Valie Export; nach der Balance zwischen äußerem Schein und innerem Sein; den Vorurteilen, auf die afrokaribische Herkunft stößt; dem Rosten und Vertrocknen des weiblichen Körpers. Radioballet untersucht an einem Paar „The Nature of Love“, Timothy and the Things erforscht in gleicher Konstellation alltägliche Szenen. Spannend dürfte „Sea Lavender“ von The Symptoms sein. Éva Fahidi, eine 90-jährige Auschwitz-Birkenau-Überlebende, trifft hier auf die junge Tänzerin Emese Cuhorka im Dialog und fragt, inwieweit persönliche Erfahrungen weitergegeben werden können. Im hohen Alter blicke man wie ein Wanderer von einem Gipfel über das weite Land unter sich, sagt Fahidi. Wer wüsste das besser als sie!

Bis 11.12., Dock 11
 

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