Königin im Reich der Finsternis
Patrick de Banas „Marie Antoinette“ als erste Uraufführung des Wiener Staatsballetts unter Manuel Legris in der Volksoper
Wiener Staatsballett: „Junge Talente“ in einem umjubelten Abend in der Volksoper
Klar, ein solcher Abend macht vor allem einmal den Zuschauer_innen Spaß und Lust auf mehr und müsste – so gesehen – die nächsten Male am 21. Januar und am 10. Februar restlos ausverkauft sein. Denn: Wann sieht man schon die Neuzugänge am Wiener Staatsballett, und in diesem Fall ist der Nachwuchs gemeint, in solistischen Rollen und da gleich in den Knüllern der Ballettliteratur, die nicht immer mit erster choreografischer Güte gleichzusetzen sind. Das sind vielmehr Knalltüten, die Virtuosität verlangen und sich als funkelnde Showcases in die Ballettliteratur eingeschrieben haben.
Sehr oft waren diese mit 'künstlerischen Schwergewichten' besetzt und die Erinnerung an sie macht einem deutlich, wie viel Luft nach oben da noch drinnen ist bei den jungen Tänzerinnen und Tänzern: darstellerisch, tanztechnisch, tempomäßig, stilistisch - selbst wenn sie von Expert_innen wie Nanette Glushak für Balanchines „Tarantella“ (Gottschalk/Kay) mit Nikisha Fogo und Géraud Wielick einstudiert wurden. Im Fall der Balanchineschen „Valse Fantaisie“ (Glinka) mit der jetzt schon sehr routiniert, fast manieriert wirkenden Natascha Mair und dem interessanten, groß gewachsenen, wachen Jakob Feyferlik vermittelte sich ein romantisch-pikantes Werk mit Damencorps. (Mair und Feyferlik debütieren am 20. Jänner in Ashtons „La Fille mal gardée“.)
Wichtig ist vor allem, dass diese Versuche gemacht werden und Ballettdirektor Manuel Legris, der etliche der Choreografien selber einstudiert hat, darunter etwa Teile aus dem 1986 an der Pariser Oper von ihm selbst mitkreierten Ensemblestück „AREPO“ (Gounod/Le Bars) von Maurice Béjart, nun mit Laura Nistor, James Stephens und Leonardo Basilio, fordert und fördert sein Ensemble aufs Äußerste. Eigentlich müsste man sich fragen, wann die junge Garde das Zweistundenprogramm unter der engagierten musikalischen Leitung von Wolfram-Maria Märtig, das sie in der letzten Spielzeit bereits zeigte, nun aufgefrischt und auch neu besetzt hat. Denn unter mangelndem Einsatz auf den Wiener Bühnen kann sich derzeit niemand beschweren. Erst letztes Wochenende lief die Wiederaufnahme der Neumeierschen „Josephs Legende“ mit einer in der anspruchsvollen Rolle der Frau des Potiphar gewachsenen, rasenden wie glutvoll tanzenden Rebecca Horner inmitten von Denys Cherevychko als Joseph und Roman Lazik als Potiphar, auch sie beide eindeutiger und sicherer als bei der Premiere vor einem Jahr. Ein großer Abend der Tänzer_innen, weniger der Instandhaltung der Inszenierung, die mitunter auseinanderdriften zu schien.
Der Fokus der Direktion Legris liegt ganz auf dem Tänzerereignis und da vor allem auf der klassisch-akademischen Technik, vorzugsweise der Beine, erst danach scheint die Gesamtheit der Inszenierung von Bedeutung. Trotz sehr heftigen Applauses war dem Neumeier-Richard Strauss-Abend, der mit „Verklungene Feste“ begann, das Publikum nicht in Scharen gefolgt. Die Preiskategorie ist in dieser Spielserie einfach zu hoch angesetzt.
Zu Weihnachten liefen etliche „Fille mal gardée“-Vorstellungen, unter anderem mit dem im Ashton-Spiel und bedeutungsvollem Tanz überzeugenden Paar Maria Jakovleva und Cherevychko, zuletzt auch mit dem beständigen Mihail Sosnovschi als Colas. Joseph Lazzinis „Fille mal gardée“ -Pas de deux (Hertel) bei den „Jungen Talenten“ mit Nina Tonoli und James Stephens lässt einen einmal mehr für Ashton (und Hérold/Lanchbery) plädieren.
Einige der Solisten des Staatsballetts trifft man in der Volksoper im Publikum, die nachdrängenden Talente, durchsetzt von Halbsolisten, werden genau beäugt. Legris spielt nun in der Eigenschaft des Ballettmeisters seine Erfahrung als Tänzer und seine von Paris geprägten Kenntnisse der Literatur aus: Ein Wechselbad der Stile und Ästhetiken, des zwangsläufig noch Unfertigen und Verwackelten, das man allerdings auf der Bühne des Operettenhauses der Stadt mit launigem Vorstadtcharakter goutieren kann. Geschenkt wird trotzdem nichts. Und Fragen wie „Wer kann heute noch die unverfrorene Béjart-Mondänität auf die Bretter bringen, ohne die seine Schritte schal und leer wirken?“ regen den Diskurs über Zeiten und Moden durchaus an.
Die Tempi an diesem Abend sind rasant, das Risiko muss genommen werden. Bereits die Ausschnitte aus der Roland Petitschen „Fledermaus“ geben die Ernsthaftigkeit des Unterfangens vor. Legris will in diesem Programm sein junges Team ausprobieren, mit Neuem ködern und an seinem Ensemble weiter schmieden. Wie viel Arbeit das kostet, mag etwa der „Pas des Odalisques“ aus seiner bevorstehenden „Corsaire“-Produktion (Premiere am 20. März) zeigen. In der tradierten Choreografie von Petipa, die man gewöhnlich in russisch-prägnanter und entsprechend phrasierter Einstudierung gewohnt ist, geben die erst sechzehnjährige Xi Qu sowie Elena Bottaro und Adele Fiocchi ihr Bestes.
Auf dem Programm stehen weitere Ausschnitte von Petits „Proust ou Les Intermittences du coeur“ (Fauré), von Neumeier „Spring and Fall“ (Dvorak) mit dem sensibel-künstlerischen Greig Matthews und Anita Manolova sowie Beiträge von Patrick de Bana und den Nachwuchschoreografen Attila Bako und Trevor Hayden. Probiert wird auch Viktor Gsovskys brillante Nachkriegsfeierlichkeit „Grand Pas Classique“ (Auber; 1949) von Adele Fiocchi und Leonardo Basilio.
Den Vogel an diesem Abend in der Wiener Volksoper aber schießt Francesco Costa ab in einem weiteren Knaller: In dem effektvollen Solo „Les Bourgeois“ (Jacques Brel) von Ben van Cauwenbergh vermag der seit 2013 in Wien engagierte Italiener gefeilte Technik, aufblitzende Akrobatik und pointierten Humor treffsicher einzusetzen.
Weitere Vorstellungen: 21. Jänner und 10. Februar
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