Zu Ehren einer Tanzlegende
Gala zum hundertsten Geburtstag von Yvette Chauviré im Palais Garnier
Sie war eine der ganz großen Ballerinen des 20. Jahrhunderts, auch wenn es in den letzten Jahren sehr still um sie geworden war. Für das Pariser Opernballett hatte sie nach dem Krieg dieselbe Funktion wie der Grundstein für das prächtige Gebäude. Und wenn sie lange nachdem sie aufgehört hatte zu tanzen, dieses Gebäude betrat, um den aufstrebenden Ballerinen den letzten Schliff und ihre Geheimnisse weiterzugeben, lag ein ganz eigenartiger Zauber in den Gängen. Und doch hat sie keiner der Nachwuchstänzerinnen dieses gewisse Etwas, das sie hatte und das wohl unnachahmlich ist, vermitteln können.
Sie trug nicht vor sich her, dass sie ein Star war, sondern blieb nahbar. Und das, obwohl sie in der ganzen Welt vielleicht die gefragteste Giselle war. So tanzte sie zu besonderen Gelegenheiten auch in der Deutschen Oper Berlin, als Gert Reinholm dort Ballettdirektor war. Die beiden kannten sich aus der Zeit als Gert, als einer der wenigen Deutschen, das Vergnügen hatte, als Gast an der Pariser Oper mit ihr zu tanzen. Wenn ich gerade an Berlin denke, fällt mir allerdings ein, dass die reizvolle Polina Semionova eine ähnlich verhaltene und gewinnende Ausstrahlung hat, wie die Chauviré sie hatte – etwas ganz Seltenes, wenn es mit einer souveränen Technik gepaart ist.
Ich habe die Chauviré ein einziges Mal auf der Bühne gesehen – mit Attilio Labis, das muss eines ihrer letzten Gastspiele gewesen sein – auf der Freilichtbühne in Nervi, bei Genua als Höhepunkt des Internationalen Ballettfestivals. Sie war eine der charmantesten Giselles, nichts Aufgesetztes und technisch so verspielt, dass ihr Alter unwesentlich blieb. Sie war wohl Ende vierzig und im weißen Akt, wo es wenig zu spielen gibt, außer überirdisch zu sein, konnte sie sich glücklicherweise auf Attilio verlassen.
Zu einer näheren Begegnung kam es erst, als sie schon im Ruhestand und in der Jury beim Wettbewerb in Varna war, wo Patrick Dupont von der Pariser Oper sich die Goldmedaille ersprang und erdrehte. Mit ihm und seiner Partnerin kam sie dann einmal nach Essen, als für die Jahreshauptversammlung des Pädagogenverbandes ein Höhepunkt gesucht und gefunden wurde. Das war lange bevor es den Deutsche Tanzpreis mit seiner Glamour-Gala gab. Und eigentlich waren die Essener damals noch nicht bereit für solche Insider-Bonbons. Dieselbe Vorstellung mit Patrick, der bald zum Étoile avancierte und schließlich Direktor in Paris wurde, haben wir dann in Ulm wiederholt.
Mit Yvette Chauviré verbindet mich etwas Ähnliches wie mit Maja Plissezkaja: Ich habe sie bei Proben gesehen und an diesem nahen Kontakt bei der Arbeit, die wir ja nicht auf der Bühne, sondern vorher im Ballettsaal machen, sind die wahrhaft Großen erkennbar.
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