„Giselle“ des Scala-Balletts in Paris

„Giselle“ des Scala-Balletts in Paris

Begegnung der Ballettkulturen

„Giselle“ mit dem Ballett der Scala im Pariser Palais des Congrès

Vor dreizehn Jahren gastierte das Ballett der Scala das letzte Mal in Paris. In der Zwischenzeit hat der Direktor gewechselt - seit 2009 regiert der ehemalige Leiter des Mariinsky-Balletts, Makhar Vaziev, die bedeutendste Ballettkompanie Italiens.

Paris, 05/02/2015

Dreizehn Jahre ist es her, seit das Ballett der Scala das letzte Mal in Paris gastierte. In der Zwischenzeit hat unter anderem der Direktor gewechselt – seit 2009 regiert der ehemalige Leiter des Mariinsky-Balletts, Makhar Vaziev, die bedeutendste Ballettkompanie Italiens, in der im 18. und 19. Jahrhundert von Ballettmeistern wie Gasparo Angiolini, Jean-Georges Noverre und Salvatore Viganò Tanzgeschichte geschrieben wurde. Der Funken Sankt Petersburger Geistes, den er mitbrachte, ist unter anderem in der Synchronität und Fluidität der Corps de Ballet-Szenen des zweiten Aktes deutlich zu spüren.

Die vom Scala-Ballett aufgeführte Version des romantischen Klassikers stammt von Yvette Chauviré, Étoile der Pariser Oper und selbst eine legendäre Interpretin der Titelrolle. Sie verzichtet in ihrer 1950 entstandenen Fassung des 1841 uraufgeführten Werkes so weit wie möglich auf Pantomime; so fehlt beispielsweise die Sequenz, in der Giselles Mutter ihrer Tochter von den Willis „erzählt“, und selbst Hilarions pantomimisches Sinnen über die noble Herkunft seines Rivalen ist so vereinfacht, dass sie beinahe unbemerkt bleibt.

Bühnenbild und Kostüme (Angelo Sala und Cinzia Rosselli) berufen sich auf Alexandre Benois, wobei manche dramatische Lichteffekte auffallen, beispielsweise ein ganz in Violett getauchter Himmel bei Giselles Tod. Charmant ist auch die Miniaturkirche im zweiten Akt, der es nicht recht gelingen mag, die Illusion räumlicher Entfernung zu erzeugen, so dass man jeden Augenblick mit einer aus ihr hervorströmenden Prozession von Zwergen rechnet. Stattdessen erscheint als souveräne Myrtha Nicoletta Manni, eine der viel versprechenden italienischen Solistinnen in der Kompanie. Unter den Männern verdienen Mick Zeni als Hilarion und Angelo Greco im Bauern-Pas de Deux Erwähnung, wobei sich letzterer durch eine mit höchst anspruchsvollen Sprungkombinationen gespickte Variation zu kämpfen hat. Man mag hoffen, dass die Nachwuchstalente der Truppe eine Erholung Italiens von seinem langen Status als relativer Ballettwüste ankündigen, deren Überleben – abgesehen von wenigen Stars wie Roberto Bolle – weitgehend von Gastsolisten abhängt.

Auch bei dieser Tournee konzentrierte sich allerdings die ganze Kommunikationsstrategie auf die beiden Haupttänzer, deren Namen schon seit Monaten auf den Plakaten in zahlreichen Metrostationen prangen, und die keineswegs auf italienischem Boden gewachsen sind. Svetlana Zakharova, seit 2007 „Étoile“der Scala, gilt wohl als Inbegriff des vollendeten russischen Vaganova-Stils. Unübertrefflich delikat, grazil und langgliedrig, mit einer Technik von unanfechtbarer Souveränität, scheint ihr gar nicht daran gelegen zu sein, im ersten Akt wie ein Bauernmädchen zu wirken – sie befindet sich von Anfang an technisch, stilistisch und spirituell in einer ganz anderen Welt. Leider geht diese kühle Perfektion auf Kosten der Geschichte und der Emotion – ihre Wahnsinnsszene ist wie eine fein geschnittene Kamee, die mehr Bewunderung als Rührung hervorruft. Auch im zweiten Akt ist die seelenvolle Liebende nicht wirklich hinter den unberührbaren, körperlosen Willis zu erkennen, und man staunt über gewisse Achsenverschiebungen bei ihren 175°-Développés à la seconde, die bei Forsythe besser untergebracht wären als im romantischen Repertoire. Ideal für die Rolle ist hingegen die überirdisch scheinende Leichtigkeit der russischen Assoluta, vor allem in ihrem Solo kurz vor Ende des zweiten Aktes und wenn sie in Albrechts Armen mit weiten Sprüngen über die Bühne schwebt.

Letzterem blieb es schließlich vorbehalten, der Darstellung der tragischen Liebesgeschichte etwas menschliche Wärme zu verleihen. Friedemann Vogel brachte die unter John Cranko erblühte, deutlich jüngere deutsche Balletttradition mit ins Spiel, bei der es in ihrer Stuttgarter Form vor allem auf zuverlässiges Partnern und nuancierten Ausdruck ankommt, wobei er es keineswegs an lupenreiner Technik, Eleganz und Virtuosität fehlen ließ.

Man kann die Organisatoren nur zu der Initiative beglückwünschen, erstklassige internationale Kompanien in den Palais des Congrès einzuladen, und hoffen, dass keine weiteren dreizehn Jahre vergehen, bevor man diese dynamische Kompanie wieder in Paris zu sehen bekommt.

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