Mantillaschwung, Mitklatschmusik und eine List
„Don Quichot“ bei Het Nationale Ballet Amsterdam bei Arthaus auf DVD
Himmel, welch prächtige Produktion! Dabei stammt sie, erfährt man im liebenswürdigen Interview des Bonusmaterials, schon von 1996, als Londons Ex-Ballerino Wayne Eagling Direktor von Het Nationale Ballet Amsterdam war. Gemeinsam mit Toer van Schayk hat er damals einen „Nussknacker“ inszeniert, der unsterblich scheint und sogar international Furore machte. Dazu trägt auch van Schayks opulente Ausstattung bei, von der gutbürgerlichen Stube des 1. Akts über eine wandelbare blaue Winterlandschaft für den Schnee-Pas de deux und die Szene der Schneeflöckchen bis zur Fantasiewelt in der Laterna magica, wo Abgesandte vieler Nationen ihre Tänze präsentieren und Clara ihre Initiation zur Frau erlebt.
Van Schayk, mittlerweile 80, hat ebenso durch wundervoll edle Kostüme zur äußeren Attraktivität dieser farbigen Inszenierung beigetragen. Farbig ist sie bereits durch eine ausgeklügelte Dramaturgie. Drosselmeier lässt sich von seinem Neffen begleiten, und der ist niemand anderes als der Prinz, der Clara in der Welt der Laterna zum Grand Pas auffordert. Ihn, den Elegant Matthew Golding, schmachtet das pubertierende Mädchen schon am Weihnachtsabend an, ihm flicht sie verliebt ein Band um den Hals, was schlüssig erklärt, weshalb er später zu ihrem Traum-Prinzen wird. Ansonsten ist er in dieser Version weitgehend vom Tanze befreit, denn als Nussknacker schuftet hier mit starrer Gesichtsmaske und gepfeffertem Repertoire James Stout.
Auf die Ouvertüre werden die Stahlbaumkinder gebadet, vor dem Haus an einer vereisten Amsterdamer Gracht eilen auf Schlittschuhen die Gäste herbei. Viel munteres Spiel ereignet sich im Salon unterm Lüster inmitten blauer Ornamenttapete, mit Geschenkgabe und Drosselmeiers einem Video entspringenden Figuren. Auch der Mausekönig mit seiner tanzunfreundlichen Vollmaske taucht bereits auf, entwendet Clara den hölzernen Nussknacker – alles ist auf deren Verwirrnisse im zweiten Teil angelegt. Dafür tauscht die kleine Clara des 1. Akts ihren Part mit Anna Tsygankova. Gemeinsam führt Drosselmeier Clara und den Nussknacker hinein in die lichtdurchflutete Laterna-Welt.
Obwohl vom vorangegangenen Kampf mit dem Mausekönig ermattet, tanzt er mit ihr den Schnee-Pas de deux, tänzerisch flüssig und mit oft ungewöhnlichen Hebetricks, womit der gesamte Abend punktet. Einmal erscheint dem Mädchen der Prinz schon anstelle des bettlägerigen Nussknackers. Den Tanz der Schneeflocken zu Kinderchor-Vokalisen befreit hinten die Jagd der Mäuse vom häufig weihnachtsseligen Kitsch. Originell die Nationaltänze, selbst Pan und ein Faun, prompt mit Nijinsky-Zitat, sind zugange. Unübertroffen der Blütenhänger hinterm choreografisch dicht gewirkten Blumenwalzer, bravourös als echter Höhepunkt der Grand Pas: besser, strahlender, formsicherer als bei Tsygankova und Golding geht schier nicht! Während sich im Schlussbild Clara und Fritz als Geschwister lieb umarmen, verabschieden sich draußen Drosselmeier und sein Neffe, nicht ahnend, was er in dieser Christnacht dem scheuen Mädchen bedeutet hat.
Besonders als Berliner Journalist, bestraft mit Nacho Duatos fantasiearmem „Nussknacker“-Revival, sieht man neidvoll, was mit diesem Werk in der Hand inspirierter Choreografen möglich ist. „Der Nussknacker und der Mausekönig“ heißt, in Anlehnung an E.T.A. Hoffmanns literarische Vorlage, dieses 2011 aufgezeichnete, von der Holland Symfonia unter Ermanno Florio zündend begleitete Feuerwerk an tänzerischen und gestalterischen Einfällen, das Het Nationale Ballet sicher noch lange erhalten bleiben wird. Schade übrigens, dass bei der „Elegance“-Serie das Booklet auf ein Faltblatt geschrumpft ist: vielleicht dann doch etwas ZU elegant.
„The Nutcracker and the Mause King“, Dutch National Ballet, Arthaus Musik, 2011
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