Niemand ist eine Insel
Zum Tanzabend „My Island“ von Stephan Thoss in Mannheim
Die Alvin Ailey Dance Company gastiert im Nationaltheater Mannheim
Wiedersehen macht bekanntlich Freude. Aber manchmal sind auch bange Gedanken dabei: Wie mag sich das Gegenüber verändert haben in der Zwischenzeit? Die Alvin Ailey Company hat schon oft im Rhein-Neckar-Raum gastiert – erstmals in den siebziger Jahren, zu Lebzeiten des legendären Kompaniegründers. Inzwischen ist das Alvin Ailey American Dance Theatre, gestartet als Amerikas erste und einzigartige Adresse für ‚schwarze’ Tänzer und deren Kultur, längst zur bekanntesten Vorzeigetruppe aus den USA geworden. Seit Kennedys Zeiten genießt das AAADT offiziellen politischen Rückenwind; heute beruft sich die Kompanie explizit auf kulturelle Vielfalt, ohne die afroamerikanischen Wurzeln aufzugeben.
1960 choreografiert Alvin Ailey „Revelations“ zu traditionellen Gospels – bis heute das Signaturstück der Kompanie. Es ist vielleicht die bekannteste Modern Dance Choreografie überhaupt, zig-tausendfach weltweit gezeigt. Beim Mannheimer AAADT-Gastspiel steht das Stück einmal mehr auf dem Programm. Und da stellt sich schon die bange Frage: Kann dieses sehr persönliche, auf intimen Kindheitserinnerungen an Gottesdienste in einer texanischen Baptistengemeinde basierende Stück über Sorgen, Liebe und Erlösung diese lange Zeit überleben? Das heißt, können die TänzerInnen von heute dem zeitgenössischen Publikum die Intimität und den Zugang zu einer der wichtigsten Quellen afroamerikanischer kultureller Identität immer noch authentisch nahebringen – oder ist nichts als eine gefällige Oberfläche geblieben?
Fazit der (Wieder-)Begegnung mit „Revelations“ in Mannheim: Um das Stück – wie überhaupt die künstlerische Ausrichtung der Kompanie muss man sich keine Sorgen machen. Wie schon Tausende Male zuvor sprang der Funke zuverlässig über, und das Publikum entließ die achtzehn TänzerInnen – durchweg Ausnahmeerscheinungen – nicht ohne Standing Ovations und eine Zugabe.
Eingestimmt wurden die Besucher in Mannheim durch das erstmals in Deutschland gezeigte Stück „Open Door“ (Choreografie: Ronald K. Brown). Zum Originalsoundtrack aus Havanna lieferte Brown eine temporeiche Erkundung kubanischer tänzerischer Tradition mit ihrer unverkennbaren rhythmischen Grundlage: ein weiteres überzeugendes Element der Aufarbeitung von Geschichte und Tradition afrikanischer Diaspora.
Absolut bestechend ist der Repertoirebestandteil des Programms: das 1997 von Paul Taylor geschaffene Stück „Piazzolla Caldera“. Sinnlich, ekstatisch und unter absoluter Hochspannung wird hier der Geist des Tangos ausgeleuchtet: ein Tanz, in dem alles geht – außer Einsamkeit. Einen überzeugenden Fingerabdruck hinterließ der amtierende künstlerische Direkter der Kompanie, Robert Battle, mit dem kurzen Solo „Takademe“ (1999). Hier hat indischer Kathak-Tanz Pate gestanden, den der Choreograf klug und witzig dekonstruiert, zum verblüffend jazzigen rhythmischen Silbengesang von Sheila Chandra.
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