Alles wieder gut?
Berliner Senatsverwaltung rehabilitiert nun auch Ralf Stabel in der Causa Staatliche Ballettschule
Die Staatliche Ballettschule Berlin begeistert mit „The Contemporaries, Volume 2“
Die Namen der Choreografen für „The Contemporaries, Volume 2“, die aktuelle Gala der Staatlichen Ballettschule Berlin, könnten einem Who is Who der Elite zeitgenössischer Tanzschöpfer entnommen sein. Wayne McGregor, Marco Goecke, dazu Mauro de Candia als aufgehender Stern und Gregor Seyffert als Crossover-Regisseur, ein beeindruckendes Quartett. Alles wurzelt im „Hier und Jetzt“, wie es im Untertitel heißt: die jungen Tänzer und jene, die sie engagiert auf die Beine und damit die Bühne bringen. Gut zwei Stunden packender Tanz für eine neue Generation vielseitiger Körpervirtuosen, von denen einige ab dem Sommer in Engagements zwischen Berlin und Madrid gehen. So bewährt sich ein langfristig angelegtes Ausbildungskonzept, das Tradition bewahrt und dezidiert Neues wagt, wie es der Künstlerische Leiter Gregor Seyffert seit 2002 als Motto gewählt hat.
Der renommierteste Neuzugang im Schulrepertoire steht am Angang des Abends im Schiller Theater. Wayne McGregors „Far“, kreiert für seine in London beheimatete Gruppe Random Dance, für die Schule einstudiert von Anna Nowak, beginnt mit einem atmosphärischen Bild: Vier Tänzer mit Fackeln leuchten den dunklen Raum aus. Hinein tritt ein Paar, das sich zu Klavier und Soprangesang zögerlich und in latenter Spannung umkreist, als würden sich Planeten nähern und abstoßen. Derweil die Fackeln verglühen, kommt es im Ungefähren von Emotion und Ausleuchtung zu impulshaften Begegnungen, bei denen auch die Frau den Mann führt. In einer edlen Liegepose, wie man sie von etruskischen Grabmalereien kennt, betten sich beide am Ende des Partnertests. Was sich für die weiteren vier Paare, ob im Solo oder zu Gruppen, anschließt, oft zu einer Tonkulisse aus Geräuschen, wirkt wie die Suche getriebener Körper nach einem Halt im endlos scheinenden Raum und setzt in markanter Bewegungserfindung auf den rundum geschmeidigen, athletisch durchtrainierten Tänzer. Kaum je bleibt der Mittelkörper unbeteiligt, wenn sich Linien tief aus dem Körperinneren weit in den Raum hinein dehnen und individuelle Bewegungscharaktere formen. Als es im Gesangstext um ‚angels’ geht, meint man drei kubistisch zerlegte Grazien auf der Szene zu sehen. Nirgendwo gibt es Bewegungsstillstand, kommt es zu unorganisierter Hektik. Aggression breitet sich gegen Schluss des einstudierten Ausschnitts aus einem längeren Werk aus, wenn in dem dichten Bewegungsgewirk Rempeleien aufflackern, die Nebel nicht verdecken kann. Über die ganze Szene verteilen sich diese Spannungen, nirgends reißt dabei der Fluss ab, wenn menschliche Elementarteilchen in Vibration geraten und zu ständig neuen Raufereien bereit sind. So überraschend und unvorhersehbar diese Aktionen sind, so plötzlich stoppen sie.
Kaum je zu stoppen sind in ihrem Tanzfeuer und ihrem Einsatz die fünf Paare aus den letzten Ausbildungsklassen, die tanzen, als ginge es um ihr Leben. Gregor Glocke und Stine Kristapsone stehen stellvertretend für eine brillante Leistung an Körperausdruck in einem ungewohnten Bewegungsidiom. Selten genug gibt es für die Altersstufe zwischen Kind und Erwachsenem, so Schulleiter Ralf Stabel, geeignete Choreografien. Was Mauro de Candia, derzeit Leiter der Dance Company am Theater Osnabrück, für Introdans in Arnhem entworfen hat, gehört zu diesen erfreulichen Ausnahmen. „Meninos“ bedeutet im Spanischen Pagen und bietet 14 unisex in zauberhaft stilisierte rote Torerokostüme gewandeten Halbwüchsigen sowie ihren Zuschauern einen Heidenspaß. Zu bearbeiteter Musik aus George Bizets „Carmen“ und unter an roten Schnüren hängenden Scheinwerfern schlurfen sie als Pulk zischend herein, werfen sich groteske Blicke zu, stoßen in Rivalität und Neid Laute aus, singen gar, tauschen ihre Hüte, beladen einen der Ihren mit allen Dreispitzen, was ihn in die Knie zwingt, und nehmen bei alldem den Stierkampfmythos gehörig auf die Schippe. Sehr musikalisch hat de Candia auf Bizet reagiert, etwa in der Seguidilla für vier Mädchen, und würzt die Bilder mit einem Bewegungshumor, der Studenten von 14 und 15 sichtbar entgegenkommt. Das Doppelseptett gibt sich stolz wie Spanier und kann, technisch gefordert, ohne überfordert zu sein, seine Spielfreude prächtig entfalten.
Zwei Perlen im Schulrepertoire komplettieren die Neueingänge. Marco Goeckes „All Long Dem Day“ zu Nina Simones vorpreschendem Gesang hat sich inzwischen zu einem Renner sogar auf dem internationalen Parkett gemausert und vielen Galas Farbe gegeben. Auch in der teils neuen Besetzung, für Schulen Alltag, hat die Studie mit ihren angstgepeitschten Zuckeskapaden, den propellernden Armen, nervösen Kratzattacken, zitternden Gliedmaßen nichts an ihrer Eindringlichkeit verloren. Dass die Schüler und Studenten vom 1. bis 9. Ausbildungsjahr bei so viel zeitgenössischem Vokabular nicht ihre Basis, den Klassischen Tanz, verloren haben, zeigt als gerafften Entwicklungsablauf „Die Zukunft beginnt jetzt“, wie ihn Gregor Seyffert inszeniert, Larisa Dobrozhan gemeinsam mit ihm arrangiert hat. Maurice Ravels „Bolero“ als Klangraum verleiht dem Abend ein zweites Mal französisches Flair. Welch vorzügliche Arbeit das gesamte Pädagogenteam über das Schuljahr geleistet hat, beweisen alle vier Beiträge dieses tief im Heute verwurzelten Programms.
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