Eingeheizt in neuer Movimentos-Spielstätte
São Paulo Dance Company eröffnet das 17. Tanzfestival in Wolfsburg
Vor einigen Jahren war ich bei der tanz- und fußballbegeisterten Nation Brasilien zu Gast. Da war die Finanzwelt noch in Ordnung, bevor die sportlichen Großereignisse die Welt am Zuckerhut auf den Kopf stellten. Leider hatte ich weder in Rio de Janeiro noch in São Paulo Gelegenheit, die Tanzkompanien zu sehen. Doch das konnte ich nun wenigstens im Fall São Paulo nachholen. Denn Hanna Koller, die für die Programmierung der Ballettgastspiele an der Oper in Köln zuständig ist, holte die Kompanie in die Staatenhalle. Und sie war gut beraten mit dem Gesehenen. Beide Vorstellungen waren restlos verkauft und es gab noch viele Tanzliebhaber, die gerne eine Karte ergattert und die Brasilianer gesehen hätten. Und ich muss sagen, sie haben etwas verpasst. Das Staatenhaus, am Rand des Messegeländes, könnte sich wieder als ein reizvolles Gebäude aus den zwanziger Jahren zeigen, bis die Oper in Köln wieder bespielbar ist, wenn man es nicht seitlich durch Garagen und Abfalltonnen betreten müsste. (Und das kann wird noch etliche Zeit so bleiben.)
Zurück zur positiven Seite: Die Tänzer von hervorragender Qualität konnten sich nicht über mangelnden Applaus beklagen, ihr Heimatpublikum kann kaum frenetischer reagieren. Zuerst gab es „The Seasons“ von Édouard Lock, ein fast neoklassisches Werk, dem Musik von Antonio Vivaldi in einer Bearbeitung von Gavin Bryars zugrunde liegt. Das Original ist mir zwar lieber, aber der Komponist hat nichts zerstört, sondern vielmehr etwas zeitgenössischen Drive durch andere Besetzungen hineingebracht. Die zwölf daraus entstandenen Stücke tragen jeweils den Namen der Monate des Jahres. Choreografisch liegt der sonst so zeitgenössische Erfinder Édouard Lock (Begründer von La La La Human Steps) hier erstaunlicher Weise irgendwo zwischen George Balanchine und Hans van Manen, soweit Hans die Spitzenschuhe noch am Fuß sehen wollte.
Das Stück erreicht nicht weltmeisterliche Form, aber es gibt den Tänzern genug schöne Aufgaben, sich von ihrer besten Seite zu präsentieren, was besonders hart schien, da die Beleuchtung vom Anfang bis zum Schluss sehr gesucht blieb. Die Künstler hatten nur Licht von oben, das in Kreisform die Bühne trifft. Ich nehme an, dass in Brasilien eine ähnliche, in den Theatern fest installierte Grundausstattung existiert wie in Frankreich (Les Douches). Die gesamte Bühne ist dort mit senkrechten Scheinwerfern ausgestattet. Man kann sie einzeln bewegen und, wie man es eben braucht, z. B. nur bestimmte Ecken oder die Mitte in kreisförmiges Licht setzen. Nicht wie Verfolger, die eben das Gegenteil machen, nämlich waagerechte Lichtkegel, die dann Schatten auf die Rückwand werfen.
Bei uns ist die Installation so vieler Scheinwerfer sehr aufwendig und bei einer Behelfsbühne wahrscheinlich unmöglich, da nicht genügend Züge (Stangen zur Montage von Beleuchtung oder Dekorationselementen) vorhanden sind. Um den Gedanken zu beenden: wenn die Lichter eben nicht ganz senkrecht von hinten auf die Tänzer treffen, ist ihre Vorderfront inklusive Gesicht dunkel. Da Tänzer nicht durchweg stillstehen, kommt es vor, auch in wichtigen oder sagen wir heiteren Momenten, dass das Lächeln in den Gesichtern nicht gesehen werden kann und das ist doch schade. Dem Erfolg an diesem Abend hat es aber keinen Abbruch getan.
Der zweite Teil hatte den Titel „Ngali ...“ und wurde von Jomar Mesquita choreografiert, der Turniertänze und Gesellschaftstänze in ihren Ursprungsländern recherchiert und weiterentwickelt (in Zusammenarbeit mit Rodrigo de Castro). Er hielt, was man sich von Tänzern aus einem der lebensfrohesten Länder der Welt verspricht. Tanzen, was die Körper hergeben, und eine möglichst vorteilhafte Präsentation zum jeweiligen Tanzpartner oder eben zum Publikum. Flirten ist nicht verboten, sondern Sinn der Sache. Es muss zu nichts führen, nur Lebensfreude auszudrücken und das macht natürlich jedem Spaß, ob persönlich involviert oder draußen im Dunkel des Zuschauerraums wo allenfalls durch Klatschen auf sich aufmerksam gemacht wird. Bunte Kostüme, wie man sie aus Südamerika kennt, tun das Ihrige dazu und stellenweise ist auch das portugiesische Erbe mit Gesang, der stark an Fado erinnert, zu hören. Denn umso größer wird die Lebensfreude im Licht stehen, wenn die düsteren Wolken im Inneren verwundet sind. Da läuft man doch beschwingt zur S-Bahn und man kann noch eine Weile davon zehren und Pläne schmieden, doch mal diese Tänzer in ihrer Heimat zu besuchen.
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