„Fancy Free“ von Jerome Robbins, Tanz: Stéphane Bullion, Alice Renevand, Karl Paquette, Eleonora Abbagnato und Francois Alu

Ein Leben voller Tanz

„Hommage à Jérôme Robbins“ im Palais Garnier

Den 100. Geburtstag von Jerome Robbins feiert die Pariser Oper mit einem vielfältigen Ballettabend.

Paris, 01/11/2018

Nachdem in Paris diesen Sommer bei den „Étés de la danse“ schon ein dreiwöchiges Robbins-Festival zu sehen war, bei dem unter anderem Tänzer*innen des New York City Ballet, Miami City Ballet, Joffrey Ballet und Pacific Northwest Ballet auftraten, machte sich nun auch die Pariser Oper daran, den Choreografen anlässlich seines hundertsten Geburtstags mit einem Ballettabend zu ehren. Den ersten beiden Vorstellungen ging das alljährliche „Défilé du corps de ballet“ voraus, das die eindrucksvolle Größe der Ballettkompanie der Pariser Oper zur Schau stellt, die nächstes Jahr ihren eigenen 350. Geburtstag feiert.

Der getanzte Teil des Abends begann mit einer Erstaufführung: „Fancy Free“, ein Ballett, mit dem der junge Robbins – sowohl Choreograf als auch Interpret des Stückes – und der junge Komponist Leonard Bernstein im Jahr 1944 auf sich aufmerksam machten. In dem frühen Werk finden sich einige Stilmerkmale, für die der spätere Choreograf von „West Side Story“ bekannt werden sollte: sein Sinn fürs Theater, eine gewisse Leichtigkeit, die den Eindruck erwecken soll, als improvisierten die Tänzer*innen die Schritte, die beinahe nahtlose Vermischung von Ballett, zeitgenössischem Tanz, Jazz und ‚natürlicher‘ Körpersprache, sowie die Nähe zum Musical. Das Ballett um drei Matrosen auf Landgang, die versuchen, mit einigen jungen Frauen anzubandeln, sollte später zum Ausgangspunkt für das Musical „On the Town“ werden. Alexandre Gasse, Paul Marque und Alessio Carbone spielten ihre Rollen mit jungenhaftem Charme, der beinahe über die Schwerfälligkeit ihrer Verführungsstrategien hinwegsehen ließ, obgleich sie – abgesehen von Carbone – einiges von der Nonchalance etablierterer Interpreten vermissen ließen. Jedenfalls konnte es keiner von ihnen mit der nicht leicht zu beeindruckenden Dorothée Gilbert aufnehmen, die an der Spitze eines sonst etwas profillosen Mädchentrios (Valentine Colasante und Roxane Stojanov) die frechen Jünglinge in ihre Schranken verwies.

Auf dieses Frühwerk folgte eine von Robbins letzten Choreografien, das 1994 für Mikhail Baryschnikov geschaffene „Suite of Dances“. Dieses lange Solo zu Bachs Cello-Suiten ist als Dialog zwischen dem Tänzer und der Cellistin – an diesem Abend Sonia Wieder-Atherton – konzipiert. Trotz der scheinbar lockeren Atmosphäre und den Brüchen, die spontane Reaktionen des Tänzers auf die Musik suggerieren, handelt es sich um ein nachdenklicheres Werk, in dem es darum geht, die verschiedenen Stimmungen in der Musik sichtbar zu machen. Das Stück kann leicht langatmig wirken, doch überzeugte François Alu als Solist durch seine Lebendigkeit und die Nuanciertheit, mit der er die Musik in ihren verschiedenen Facetten tänzerisch ergänzte und dabei individuelle Akzente setzte.

In seinem bekannteren Meisterwerk „Afternoon of a Faun“ schuf Robbins eine moderne Fassung von Vaslav Nijinskys skandalträchtiger Choreografie über die flüchtige Begegnung eines Fauns und einer Nymphe. Robbins Fassung – ebenfalls zu Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ – spielt in einem Ballettsaal, in dem sich ein junger Tänzer und eine junge Tänzerin begegnen, einige Schritte zusammen proben und wieder auseinandergehen. Die Choreografie vor allem für den Mann enthält einige Anspielungen auf Nijinskys Werk, vom animalischen Räkeln im Profil zur Schlusspose, in welcher er sich wieder zur Ruhe legt. Doch wenn Nijinskys Faun eine Kraft verkörpert, die Nietzsche als das Dionysische bezeichnen würde, so steht Robbins klarlinige Fassung im Zeichen Apollos. Die beiden (an diesem Abend Myriam Ould-Braham und Mathias Heymann) zelebrieren ihre eigene Schönheit, die Perfektion ihrer Posen, und wenden den Blick beinahe nie aufeinander, sondern fast immer zum Publikum hin, das den Spiegel des Ballettsaals ersetzt. Die einzige Ausnahme bildet der Kuss des jungen Mannes auf die Wange seiner Partnerin – auch dieser eher ein ästhetisches Experiment, das sie zu einem weiteren Blick in den Spiegel veranlasst, als ein Ausdruck von Emotion.

Der Abend endete mit „Glass Pieces“, einem futuristisch anmutenden Werk aus dem Jahr 1983 zu hypnotisch-repetitiver Musik von Philip Glass. In diesem Ballett kommt das Ensemble besonders zur Geltung, vor allem im ersten Teil und in der eindrucksvollen Schlusspartie zur Begräbnismusik aus Glass’ Oper „Akhnaten“ über den gleichnamigen ägyptischen Pharao; diese klingt eher wie Begleitmusik für ein Stammesritual und spornt vor allem die Männer der Kompanie zu atemberaubendem Tempo an. Im langsameren Mittelteil tanzen Laura Hecquet und Stéphane Bullion einen fließenden Pas de deux in glänzenden Ganzkörperkostümen, während im Hintergrund schattenhaft Tänzerinnen prozessieren und unauffällige Schrittkombinationen ausführen wie identitätslose Nachfolgerinnen der „Schwanensee“-Corps de Ballet-Tänzerinnen.

Ein Abend, der einen Eindruck der Bandbreite von Robbins’ Schaffen vermittelt und auf die baldige Wiederaufnahme anderer Klassiker im Repertoire der Pariser Oper hoffen lässt, beispielsweise das unwiderstehliche „The Concert“ und das lange nicht gesehene „The Cage“.

 

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