Aus der eigenen Zeit neu gedacht
Schubert-Zenders „Winterreise“ in Münster
„True Romance“ von Hans Henning Paar und Daniel Soulié am Theater Münster
Stünde es nicht im Programmheft, man würde die hochromantische Naturszene „Der Mönch am Meer“ nicht erkennen – wohl aber das Arrangement eines Menschen von hinten, das glitzernde Meer unter dem wolkigen Abendhimmel betrachtend: Das kann doch nur Caspar David Friedrich sein! Der romantische Maler von der Ostsee steht zur Zeit bei deutschen Choreografen hoch im Kurs.
Mit einem kleinen Kulturschock überrumpeln Hans Henning Paar und Daniel Soulié die Zuschauer bei Münsters neuem Tanzabend. Europäische Romantik und heutige amerikanische „True Romance“, so der Titel des Tanzstücks, prallen aufeinander. Dem Choreografen-Team geht es um den sehnsuchtsvollen Herzschmerz gestern und heute, hier wie dort. Zwei überragende Vertreter der europäischen Romantik holen sie ins Boot, den Maler Caspar David Friedrich und den Musiker Frédéric Chopin, und konterkarieren deren visuelle und akustische Gefühlswelten von anno dazumal mit heutiger Popkultur.
Mit dem amerikanischen Film „True Romance“ von 1993 hat das nichts zu tun, wie die Auslassungen im Faltblatt zur Produktion dokumentieren. Aber ein paar wirklich schöne Bilder und Tanzszenen sind gelungen. Tänzerisch reizvoll sind vor allem ein Solo von Kana Mabuchi, ein Duett der zwillingsähnlich kostümierten Tänzer Keelan Whitmore und Matteo Mersi und ein Ensemble der anmutigen Tarah Maleika Pfeiffer mit vier Verehrern (Pina Bausch lässt grüßen!). Den Rahmen der 80-minütigen Szenenfolge bilden Assoziationen an Caspar David Friedrichs Gemälde. Zu Beginn steht Tänzerin Elizabeth D. Towles – viel prominenter sichtbar als das gemalte winzige Menschlein am Strand – reglos auf einer kleinen Schräge und blickt auf die projizierten, glitzernden Wellen und düsteren Wolken. Im Finale versammelt sich das Ensemble vor dem Bild des Naturschauspiels zu den lyrischen Klängen von Chopins Nocturne Nr. 8.
Etwas verwirrend pendeln die Tanzenden zwischen gefühlvoll intimen, dann wieder überbordend fetzigen, unterhaltsamen Sequenzen. Eine Etude Alexander Skrjabins überbrückt kaum wahrnehmbar Chopins Klavierminiaturen und heutige Elektromusik, Pop und Rock. Star des kleinen Tanzabends ist Ausstatter Bernhard Niechotz. Wieder gestaltet er den an sich eher engen Bühnenraum des Kleinen Hauses mit hoher Ästhetik aus wenigen, geometrischen Elementen, die sich durch raffinierte Beleuchtung und Projektionen wandeln und auf sehr elegante Weise Weite schaffen.
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