Handschriftenkunde
Jubiläum der Wigman-Schule
„Der Tanz ist eine lebendige Sprache, die vom Menschen gesprochen wird und vom Menschen kündet, (...) um auf einer übergeordneten Ebene in Bildern und Gleichnissen von dem zusprechen, was den Menschen innerlich bewegt und zur Mitteilung drängt“, so Mary Wigman, bei der Schilling 1946 in Leipzig ein halbes Jahr Unterricht genommen hatte und die den Achtzehnjährigen in ihrer legendären „Orpheus“-Inszenierung besetzte.
Innerlich bewegt werden und bewegen wollte der 1928 im thüringischen Esperstedt Geborene. Dessau, Weimar, Dresden sind wichtige Stationen seines künstlerischen Weges. Die Komische Oper Berlin wurde ihm für 26 Jahre künstlerische Heimstatt. „Ich habe an diesem Haus mein Leben verbracht, mein eigentliches, wirkliches Leben.“ Mit einer Gala „Für Tom Schilling“ hat sein Ensemble am 11. Juni 1993 seinen verehrten Meister verabschiedet. Mitten in den oft durch Unkenntnis und Diffamierung erschwerten Prozess der Nachwende auch im Tanzbereich verlieh der Deutsche Berufsverband für Tanzpädagogik den Deutschen Tanzpreis 1996 demonstrativ an Tom Schilling für sein Lebenswerk. Tom Schilling ist Ehrenmitglied der Komischen Oper Berlin; ein Probensaal beim Staatsballett Berlin trägt seinen Namen. Sein Tanztheater ist tot. Die Abwicklung der Sparte Tanz an der Komischen Oper Berlin mit der letzten Vorstellung am 10. Juli 2004 war Voraussetzung für die Neustrukturierung der Stiftung Oper und des fusionierten Staatsballett Berlin.
Viele Zuschauer, die Tom Schillings „Abraxas“, „Cinderella“, „Undine“, „Schwarze Vögel“, „Romeo und Julia“, „Schwanensee“, „Wahlverwandtschaften“, „Hoffmanns Erzählungen“,“ Aschenbrödel“, „Abendliche Tänze“ oder „Match“ im Original gesehen haben, werden noch heute davon erzählen können und wollen. Ein Phänomen, das von der emotionalen Bewegung spricht, die viele Tanzschöpfungen Tom Schillings kraft der tanzdarstellerischen Präsenz seiner Protagonisten zweier Generationen über den vergänglichen Bühnenvorgang hinaus im erinnerten Leben vieler Besucher bis heute auslösen.
„La mer“ – zunächst zweisätzig gleichsam die Geburtsstunde des Tanztheaters der Komischen Oper Berlin – führte 1965 zum Engagement Tom Schillings als Chefchoreograf an die Komische Oper; Hannelore Müller, die spätere Bey, und Roland Gawlik bildeten den Kern des neuen Ensembles und avancierten über Jahrzehnte zum Inbegriff vom tanzenden Darsteller. In „La mer“ war exemplarisch erkennbar, was sich in mehr als 25 Schaffensjahren als Grundintention in immer neuen Themen und musikalischen Ausdruckswelten im Tanztheater Tom Schillings auf der Bühne der Komischen Oper zeigen sollte – „menschliche Beziehungen in ihrer Gefährdung und in ihrer Kraft, in ihrer Kritikwürdigkeit und in ihrer Schönheit“ (Tom Schilling). Seiner Kompanie, die am 28. Dezember 1966 mit „Abraxas“ unter der musikalischen Leitung des Komponisten Werner Egk an die Öffentlichkeit trat, gab Tom Schilling den programmatisch am Musiktheater-Konzept Walter Felsensteins orientierten und nunmehr auf die Einheit von Tanz und Theater zielenden Namen „Tanztheater“. In dessen Zentrum rückte der tanzend handelnde und tanzend fühlende Mensch in einer Vielzahl von Tanzschöpfungen, darunter viele Uraufführungen.
Seine choreografischen Neu-Entdeckungen der Klassiker „Romeo und Julia“, „Undine“, „Schwanensee“ sowie viele sinfonische Stücke weisen Schilling als einen poetischen Erzähler in Bewegung aus, der der Psyche des Menschen in ihren Veränderungen und sozialen Abhängigkeiten nachspürte. Schilling hielt diesen durch Ausdruck erfüllten theatralen Vorgang für unabdingbar, weil er die Mündigkeit von Tanz, Tanzdarstellern und Zuschauern fördert. Sein Plädoyer für stilistische Breite schloss die ständige Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten durch universell ausgebildete Tänzer wie Choreografen ein.
Die Bühne war für Schilling ein Ort menschlicher Begegnungen, sie verträgt keine Beliebigkeit, bunte Grellheit um des Effektes willen und jene mit Tempo kaschierte Leere, die schon Alfred Kerr anwiderte. In diesem Sinne wird Tom Schilling vielen Tänzerinnen und Tänzern, künstlerischen Mitstreitern und vor allem vielen durch seine Tanzkunst beschenkten Zuschauern als wichtiger Tanzpraktiker und Visionär in lebendiger, das heißt über den Tanztheaterabend hinaus wirkender Erinnerung bleiben.
Viele Menschen aus allen sozialen Schichten machten sich mit großer Offenheit, kritischem Verstand, der Bereitschaft zu tiefem emotionalen Empfinden wirklich interessiert mit dem Ensemble auf den Weg dieses wunderbaren Abenteuers namens Tanztheater.
Das betraf die gesamte Breite des Repertoires: Tanzdramen, Tanzkomödien, tanzsinfonische Stücke (wie „Pastorale“, „Lebenszeit“, „Carnaval“) – abendfüllend oder en miniature, neue Formate wie die Aufführungsreihen Tanztheater-Forum. Viele Zuschauer suchten (ein Prozess beginnend in den 70er Jahren) den verbalen Austausch mit den Tanzkünstlern über Fragen der Kunst und Fragen des Lebens. Die Erwartungshaltungen waren hoch und jede Premiere war ein künstlerisches Ereignis von öffentlichem Interesse und mit breiter Resonanz. Die Tanz-Bühne der Komischen Oper hatte dem Menschen im Parkett und auf den Rängen etwas zu sagen. Wandlungsfähigkeit und Bühnenpräsenz der 'Schillingschen' Tänzerdarsteller verblüfften, erschütterten und begeisterten das Publikum.
Tom Schillings neuchoreografierter, auf die dramatische Entwicklung Siegfrieds fokussierter „Schwanensee“ (1978) war mit 244 Vorstellungen bis 1995 die meistgespielte und auch meist besuchte Tanztheater-Aufführung in der Geschichte der Komischen Oper! Schillings „Schwanensee“-Krimi begeisterte Zuschauer zudem bei Gastspielen in Canberra, Melbourne, Sidney, Adelaide (Australien 1980), Modena und Reggio Emilia (Italien 1984), beim Edinburgh Festival 1984, in Duisburg, Hagen, Gelsenkirchen und Dortmund 1990.
„Die Mitglieder der Kompanie sind ein Team erstklassig ausgebildeter Solisten, die sich Schillings Choreografie erobern. Die Kostüme von Eleonore Kleiber sind eine perfekte Widerspieglung von Tom Schillings Absichten. Jochen Finke hat ebenfalls eine eindrucksvolle Szenerie geschaffen. Für die Hofszenen kreierte er einen höhlenartigen Raum, der buchstäblich aus den Nähten platzt, wenn er sich in den See verwandelt. Schillings Choreografie ist von fließender Energie. Sie treibt die Handlung vorwärts und unterstreicht die psychologischen Bezüge. In ihren großen Szenen ist sie von hypnotischer Wirkung: sie bedient sich niemals extravaganter Gesten, um billigen Applaus zu erheischen. Diese Inszenierung spornt an, neu darüber nachzudenken, was Künstler auf der Bühne zu leisten vermögen.“ (Melbourne Age) In der Premiere tanzten Wladimir Fedjanin (Siegfried), Hanna Vlacilova (Odette), Jürgen Hohmann (Rotbart), Ute Mitreuter (Fürstin) und Yvonne Vendrig (Odile) – Jutta Deutschland (Odette + Odile), Angela Reinhardt/Yoko Ishino/Alma Munteanu (Odette), Dieter Hülse/Thomas Hartmann/Richard Nixon/Gregor Seyffert (Siegfried) und viele andere gaben den zahlreichen Bühnenfiguren in einem dramaturgisch genau strukturierten Inszenierungskonzept unverwechselbares Gesicht.
Schilling wollte seine Tänzer-Darsteller nicht benutzen, sondern entwickeln und sich selbst mit ihnen und durch sie. Die Arbeit an der Rolle in einem klar fixierten dramaturgischen Gesamtkontext von tänzerischen und nicht-tänzerischen Darstellungsmitteln war der zentrale Prozess. Manchmal konnte es passieren, dass die Faszination des Theaters, jenes „Wunder der wahren Verwandlung“ (Felsenstein) bereits in Probenkleidung auf der fensterlosen Probebühne begann. Nämlich dann, wenn das Spiel und Widerspiel in den Bann zog, so dass die Tänzer tanzend zu Romeo und Julia, Charlotte, Ottilie, Hauptmann, Eduard und vielen anderen wurden, da sie ihren Bühnenfiguren eigenes Leben schenkten und dadurch das Gleichgewicht zwischen Technik und Intuition, Reproduktion und Kreativität menschlich erlebbar war.
Unter dem kontinuierlichen Einfluss dieses Vollbluttheater-Mannes haben sich Tänzerinnen und Tänzer zweier Generationen mit ihren ständig erweiterten tanzkünstlerischen Ausdrucksmitteln diesem Tanztheater eines vitalen poetischen Realismus in vielen hunderten Vorstellungen verschrieben. Um sich als Choreograf zu verwirklichen, suchte und brauchte er Tänzerpersönlichkeiten, die nicht nur professionell klassisch und modern tanzen konnten, sondern die sich vor allem als tanzende Darsteller erproben wollten, die sich im Probenprozess vorbehaltlos und offen dem fantasievollen Durchspielen unterschiedlichster Menschenschicksale hingaben, indem sie die eigenen Empfindungs- und Erfahrungswelten bewusst einbrachten. So exponierte Tom Schilling den Prinzen in „Aschenbrödel“ (1991) als einen alle Etikette furios sprengenden Tausendsassa in seiner Auftrittsvariation: Gregor Seyffert sprang auf Sessel und fegte in der Manege (zur augenzwinkernden Freude des Königs) gleichsam die Hofschranzen zur Seite. In diesen nur zwei Minuten wurde der junge Mann dem Publikum tanzend als Mensch zum Freund! Später wird er auf Karussell-Pferden reiten, um die Trägerin des Schuhs zu finden … und nicht nur die jungen Zuschauer werden dieser Suche applaudieren.
Schilling führte und verführte seine Tänzerinnen und Tänzer dazu, wirklich inhaltlich zu denken. Das heißt, dem Ausdrucksgehalt jeder Bewegung nachzuspüren, so dass der tänzerische Vorgang auf der Bühne Verbindlichkeit erlangt und im tänzerischen Geschehen konkrete Charaktere und Figurenbeziehungen, menschliche Haltungen und menschliches Verhalten erlebbar wurden. In diesem Sinne waren alle – ob Solist oder Gruppentänzer – als tanzende Darsteller gefordert. Dies jedoch keineswegs im Sinne einer Einbahnstraße, sondern im suchenden Ausprobieren, im Diskutieren, Finden und Öffentlichmachen des gemeinsam Erprobten.
Das Tanztheater der Komischen Oper Berlin entwickelte sich unter Schillings Leitung zum kreativen Tanzzentrum der DDR, das durch die kontinuierliche Ensemblearbeit mehr als ein Vierteljahrhundert impulsgebend wirkte. Ein künstlerisches Kraftfeld für viele Mitarbeiter, Tänzer, Probenleiter, Choreografen und Komponisten, Bühnenbildner, Kostümbildner, impulsgebend vor allem auch für junge Künstler, die sich als junge Tänzer und junge Tanzschöpfer erproben konnten.
Das Eigene mit deutlichem Zeitbezug fantasievoll sichtbar zu machen, war sein Bestreben. Sein kommunikatives Medium waren der Tanz und das Theater als fiktive Realität, als magischer Ort für das gleichnishafte Spiel und die Begegnung von unterschiedlichen Menschen. Schillings Bewegungssprache, fußend auf dem klassischen Kanon, blieb stets offen für sinnstiftende Verbindungen mit Ausdruckstanz, Folklore, Show, Jazz und Modern Dance. Schubladendenken war ihm ebenso fremd wie die Attitüde eines Provokateurs.
In Verbundenheit mit Friedrich Schiller war das Theater auch für Schilling eine „moralische Anstalt“, um im gleichnishaften Spiel und Widerspiel an der Verbesserung des Menschen und der Welt zu arbeiten. Diese Sinnhaftigkeit von Tanz in den Inszenierungen des Tanztheaters der Komischen Oper Berlin stieß auf lang anhaltende Resonanz. Von Spielzeit zu Spielzeit entwickelte sich in vielfältigen Formaten die Kommunikation mit den Zuschauern, wir spürten Neugier, ein tiefes forderndes Interesse, Interesse für das künstlerische Werk und die Künstler, getragen von kritischer Offenheit und Respekt!
In Schillings Tanzsprache, besonders in den Soli und Pas de deux und exemplarisch in der narrativen Verknüpfung von Gruppen- und Einzeltänzen, sind die Bewegungsmotive Ausdruck einer inhaltlich begründeten und entwickelten Bewegungscharakteristik. Ein Pas de deux ist ein Dialog, an dem der Zuschauer teilhat. Der Tod und das Mädchen begegnen einander in „Abendliche Tänze“ (Schubert) behutsam und verständnisvoll; als Gefährte wiegt er das Mädchen (wie die Alte Frau frei nach Albrecht Dürers Holzschnitten im Totentanz „Der Grüne Tisch“ von Kurt Jooss) in sie erlösende Ruhe. Schilling verstand Bewegung (ganz im Sinne Mary Wigmans) als Sprache, da die Beweggründe der Tanzenden, ihre emotionalen Amplituden verständlich wurden und stets auch eine Bewertbarkeit des Bühnengeschehens durch den Zuschauer ermöglichten.
„Eine Aufführung, über die ich sprechen möchte, ist eine Aufführung, die meine Sinne beflügelt, die aus der inhaltlich bezogenen Einheit von Choreografie, Musik/Dirigat, Bühne, Kostüm, Licht und Regie Assoziationen und eigene Empfindungen freisetzt. Am Schicksal des Bühnengeschehens das Eigene messen und überdenken, ist Aufgabe der künstlerischen Äußerung“, so eine wesentliche Grundüberzeugung Tom Schillings nach 20 Jahren Theaterarbeit mit seinem Ensemble 1986.
Als Choreograf und Theatermann zielte Tom Schilling sensibel und den Zuschauer vielgestaltig erregend, erschütternd und bezaubernd, ja in Bann schlagend – auf die Veränderbarkeit des Menschen im Sinne der Freilegung und Behauptung von Humanismus und Fantasie. Das Abstrakte hat ihn nie interessiert.
Neben der Neuredaktion von tradierten Werken wie „Cinderella“ 1968 /“Aschenbrödel“ 1991, „Romeo und Julia“ 1972 (32 Aufführungen) und 1983 (124 Aufführungen bis 28. Mai 1999), „Schwanensee“ 1978 (244 Aufführungen bis 1995) rückten das Interesse an Erstaufführungen, so Henzes „Undine“ 1970 (51 Aufführungen) mit Hannelore Bey in der Titelrolle und vor allem das risikovolle Bemühen um das „Neue Werk“ - durch Uraufführungen der kleinen und großen Form „Schwarze Vögel“ (Katzer), Revue“ (Matthus), „Wahlverwandtschaften“ (Schubert), „Hoffmanns Erzählungen“ Natschinski) - in den Fokus der Spielplanung.
Eine signifikante Neuschöpfung war „Match“. Dieses neunminütige Kabinettstück erarbeitete Schilling (ebenso wie einige Jahre zuvor „La mer“) für das Tänzerpaar Bey-Gawlik. In den drei Runden eines Tennismatches erzählte Tom Schilling eine moderne David-und Goliath-Version voller Witz und Poesie (befördert durch die narrativ-strukturierte Musikcollage von Siegfried Matthus mit fliegenden Tennisbällen und Vogelgezwitscher): Die kleine Anfängerin schlägt den großen Champion, die Frau besiegt den Mann, den Nutzen haben beide. Diese Uraufführung vom 9.5.1971 wurde ein langanhaltender Publikumserfolg - viele Zuschauer kamen extra um Bey-Gawlik in diesem „Spiel“, dieser kleinen menschlichen Begebenheit voller Humor, zuzusehen und die Interpreten zu feiern. Schillings „Match“ lebte auch in der spielfreudigen Interpretation anderer Tänzer (wie Angela Reinhardt und Mario Perricone/bzw. Gregor Seyffert) erkennbar fort.
Die tanzkünstlerischen Bemühungen richteten sich mit Leidenschaft und Risikobereitschaft auf die Schöpfung eines eigenen Repertoires, unverwechselbar zum Bühnenleben erweckt durch die Tänzerinnen und Tänzer seines Ensembles. Es entwickelte sich (unterstützt von der Intendanz) eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Komponisten wie Siegfried Matthus, der nach „Match“ die Toncollage für „REVUE“ (Szenen für Tanztheater, UA 1977) schuf, mit Georg Katzer „Schwarze Vögel“ (UA 1975 – 65 Aufführungen bis 1986), „Ein neuer Sommernachtstraum“ (1981) und Gerd Natschinski, dessen spritzige Adaption von Offenbachs Opéra fantastique „Hoffmanns Erzählungen“ (UA 1986) der Genrebezeichnung als Fantastisches Ballett in der choreografischen und szenischen Realisation mit Cancan, Automaten, Sylphiden entsprach und gerade durch diese pausenlos in Erstaunen setzende fantastische Zauberkraft des Theaters jene existentielle Suche Hoffmanns nach Wahrhaftigkeit in der Kunst und in der Liebe erfahrbar machte.
War Schilling anfangs zugleich Librettist seiner Werke, wurde ihm Dr. Bernd Köllinger ab 1974 (Ballettdirektor 1973 - 1991, er verstarb 67jährig am 2.11. 2011 an Krebs) zum geschätzten Mitarbeiter/Librettisten an seiner Seite. Beider erste Zusammenarbeit war das Tanzdrama „Schwarze Vögel“ – es folgten „Revue“ (1977), „Schwanensee“ (Neuredaktion! 1978), die zeitgenössische Shakespeare-Adaption „Ein neuer Sommernachtstraum“ (1981), die Tanzkomödie „Don Parasol“ (1981), das Tanzdrama „Wahlverwandtschaften“ (nach Goethes Roman 1983 mit Kammermusiken von Franz Schubert) und 1986 „Hoffmanns Erzählungen“ – als UA zum zwanzigjährigen Bestehen des Tanztheaters. Die vier so unterschiedlichen Frauenpartien (Stella, Olympia, Giulietta, Antonia) kreierte Tom Schilling für und mit Jutta Deutschland (Ernennung zur Primaballerina), Gerald Binke war ein beseelter Hoffmann und innerhalb einer umfangreichen schillernden Personage zog Mario Perricone als Teufelsgeiger Mirakel alle Register seines diabolischen Charmes. Später hat sich auch die Primaballerina der Staatsoper Unter den Linden Steffi Scherzer die vier Frauenrollen erobert.
Das Ensemble auf und hinter der Bühne begriff sich als Träger jeder Aufführung, denn nur aus dem sinnvollen Zusammenspiel aller Beteiligten erwuchs die poetische Kraft des Theaters. Schillings Tänzer wollten tanzend spielen. Gerade die individuelle Ausdrucksfähigkeit sehr unterschiedlicher Tänzerpersönlichkeiten im Kontext der Gesamtinszenierung ermöglichte seine ein Publikum immer aufs Neue bewegende Wirkung. Die erstaunliche Vielseitigkeit des Repertoires und unglaubliche Spielfreude und Vielseitigkeit der Tänzerdarsteller bedingten einander und formten den künstlerischen Geist des Tanztheaters der Komischen Oper.
Die Kunst Terpsichores hat durch Tom Schillings Werke und die künstlerischen Fähigkeiten seiner tanzenden Darsteller und kreativen Mitarbeiter an theatraler Aussagekraft gewonnen und in der Publikumsresonanz eine spürbare Demokratisierung erfahren. Der Choreograf und Inszenator Tom Schilling war ein Geschichten-Erzähler, getreu nach Goethe: "Das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch."
Tom Schilling ist gern gesehener Gast seines Hauses, der Komischen Oper Berlin, deren Premieren er gerade in der 70. Jubiläumsspielzeit aufmerksam verfolgt. Er kann noch immer wunderbar lachen und jeden seiner Gesprächspartner durch seine offene, ungekünstelte Art begeistern. Ich wünsche ihm Glück und Gesundheit.
Tom Schilling begeht heute, am 23. Januar 2018, in Berlin seinen 90. Geburtstag – Reverenz und Gratulation!
Dr. Karin Schmidt-Feister
Dramaturgin des Tanztheaters der Komischen Oper Berlin (1982 bis 1998)
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