Vom Werden und Vergehen
Nach über 30 Jahren ist Yoshito Ohno wieder zu Gast in München
Von Stefan Maria Marb
Mit Bestürzung und großer Trauer wurde die Nachricht vom Tode des japanischen Butohmeisters Yoshito Ohno zu Beginn dieses Jahres in der Butohwelt aufgenommen. Er war einer der letzten seiner Generation, der einen direkten Zugang zu den beiden Gründern des Butoh, Tatsumi Hijikata und Kazuo Ohno, seinem Vater, hatte. Insofern ist sein Scheiden ein großer Verlust für den Butoh weltweit.
Lange stand Yoshito Ohno selbst im Schatten seines weltberühmten Vaters Kazuo, der 2010 im Alter von 103 Jahren verstarb, so dass er erst in den letzten Jahren seines Lebens eine eigene Karriere verfolgen konnte.
Yoshito, 1938 in Tokio geboren, gab sein Bühnendebüt als 19-jähriger Tänzer 1959 in dem legendären Stück „Kinjiki– Verbotene Farben“ unter der Regie von Tatsumi Hijikata. Durch diese skandalträchtige Performance wurde Butoh mit einem Paukenschlag zum Leben erweckt und einem breiten Publikum ins Bewusstsein gebracht. Die in diesem Stück erfolgte Zusammenarbeit mit Hijikata und insbesondere mit Kazuo Ohno, der ebenfalls in Kinjiki mitwirkte, sollte fortan Yoshitos künstlerischen Weg als Butohkünstler bis zu seinem Lebensende bestimmen. Nach dem Auftritt in „Kinjiki“ tanzte er in den folgenden Jahren in zahlreichen Butoh Performances, um sich dann Anfang der 1970er Jahre von seiner Rolle als aktiver Bühnentänzer zurückzuziehen.
Dafür arbeitete er im Hintergrund für Kazuo Ohnos Karriere, die im Jahre 1977 mit dem preisgekrönten Werk „Admiring La Argentina“, in der Regie von Hijikata, ihren internationalen Durchbruch erlebte und dazu beitrug, dass Butoh weltweit bekannt wurde. Dieses Stück wurde auch auf dem Theaterfestival in München 1982 aufgeführt und erregte damals nachhaltige Resonanz.
Yoshito selber hatte sein Bühnencomeback im Jahre 1985 in „The Dead Sea“ an der Seite seines Vaters, wiederum unter der Regie von Hijikata. Weitere derartige und international sehr erfolgreiche Duette, wie beispielsweise „Water Lilies“ folgten. Dazu zeigte er sich für die Regie zahlreicher Soloproduktionen von Kazuo verantwortlich, der weit bis in die 1990er Jahre trotz seines hohen Alters Aufführungen bestritt. Sein anrührendes Engagement für den immer schwächer werdenden Vater zeigte sich zuletzt in öffentlichen Park-Performances, in denen er den inzwischen über 100-jährigen Kazuo in seinem Rollstuhl zum wartenden Publikum schob, damit dieser dort mit seiner noch beweglichen Hand tanzen konnte. Yoshito tanzte selber häufig in einer Art surrealen Pas de Deux mit einer kleinen Puppe, die Kazuo Ohno personifizierte. Hier, Puppenspieler und Tanzpartner zugleich, zelebrierte er seine intensive Verbundenheit mit dem Vater und gab ihr eine unverwechselbare Form.
Nach dem Tod von Kazuo 2010 widmete er sich seinem eigenen künstlerischen Weg. Dabei arbeitete er unter anderen mit dem Tanztheater Wuppertal in der Produktion „The Promising Morning“ (2010) zusammen sowie mit der New Yorker Band „Antony and the Johnsons“ in der Produktion „Antony and the Ohnos“ (2010). Seine Soloproduktion „Flower and Bird“, mit der er auch international tourte, entstand 2013.
Yoshito Ohno gab erfolgreich Workshops und Kurse auf internationalen Festivals, wie zum Beispiel bei den Sommertanzwochen in Wien. Sein außergewöhnlicher Lehrstil war geprägt von einer feinen Poesie und tiefen Menschlichkeit. Dieser Lehrstil zeigte sich am deutlichsten im legendären Studio von Kamihoshikawa im japanischen Yokohama, das sein Vater Kazuo über die Jahre aufbaute und lange betrieb. Hier gab Yoshito über viele Jahre regelmäßig seine Kurse. In diesem kleinen, mit Kostümen und allerlei Memorabilien angefüllten Tanzstudio gaben sich zahlreiche Tänzer*innen aus der ganzen Welt und über traditionelle Genregrenzen hinweg ein Stelldichein, um dort für ihren weiteren künstlerischen Weg inspiriert zu werden.
Ich kannte Yoshito Ohno seit 1989 und durfte ihn im Laufe der folgenden gut 30 Jahre mehrmals in Workshops und Kursen erleben. Für die Bühnenproduktion „Between“, die ich in Kooperation mit der slowenischen Choreografin Tanja Zgonc 2008 entwickelte, agierte Yoshito als genialer Mentor und tanzte selber mit der oben erwähnten „Kazuo“-Puppe für ein Video. 2014 konnte ich gemeinsam mit Axel Tangerding Yoshito zu einem Workshop und der Anthologie „A letter addressed to future me“, ein choreografisches Vermächtnis von Hijikata, nach München einladen.
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