„Accumulated Layout“ von Hiroaki Umeda

„Accumulated Layout“ von Hiroaki Umeda

Gelungene Grenzüberschreitungen

In der Heidelberger HebelHalle lockt das neue Tanzfestival TECart Dance das Publikum an

Was geschieht, wenn sich Tanz in Auseinandersetzung mit elektronischen Klang- und Bildräumen entwickelt, fragen Howool Baek, Shumpei Nemoto und Hiroaki Umeda in ihren Arbeiten.

Heidelberg, 20/02/2020

Noch bis Samstag dauert das zehntägige Tanzfestival TECart Dance, das das Heidelberger Unterwegstheater derzeit den Menschen in der Metropolregion Rhein-Neckar erstmals vor die Füße legt. Als Platzhalter für die ursprünglich terminierte, nun aber aufs nächste Jahr verschobene Tanzbiennale konzipiert, erweist sich das neue Festival inhaltlich als Glücksfall. Wo sonst könnte man sich in der Gegend, wenn man es nicht zum Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien schafft, mit der naheliegenden Frage beschäftigen, wie Tanz im internationalen Kontext aussieht, wenn er in Auseinandersetzung mit elektronisch hergestellten Klang- oder Bildräumen tritt? Außer am Stadttheater Pforzheim, wo derzeit die aus Fraktalen hergestellten Bildräume des Stuttgarter Medienkünstlers Philip Contag-Lada in Guido Markowitz Neuinterpretation „Die vier Jahreszeiten“ das Publikum begeistern, gibt es aktuell kaum andere Möglichkeiten. Es sei denn, man surft im Netz, den Blick auf den Bildschirm geheftet, abgeschlossen von anderen.

Jai Gonzales und Bernhard Fauser aber, die Erfinder von „TECart Dance“ und eines der besten Kurator*innenteams für Tanz in Baden-Württemberg, locken ihr an diesen Abenden erweitertes Stammpublikum dank aufwendiger Werbung ganz analog in die Hebelhalle, wo sie mit Ruhe und herrlich unaufgeregt sehenswerte, aber auch herausfordernde Aufführungen präsentieren. An den bislang gezeigten Performances der Koreanerin Howool Baek und der Japaner Shumpei Nemoto und Hiroaki Umeda fällt auf, dass alle Künstlerinnen und Künstler aus Asien stammen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass alle Drei Aspekte der Emotionalität, der Narrativität oder des existenziellen Seins des Menschen quasi hinter sich lassen und sich fast analytisch auf jeweils eine Frage konzentrieren. Tanzhistorisch und ästhetisch starten sie an dem Punkt, als der Tanz im Rahmen der Postmoderne der 1960er Jahren begann, sich auf Körper und Bewegung als Material zu besinnen. Je reduzierter oder abstrakter eine Choreografie gerät, desto mehr Raum gibt sie den Betrachtenden, zu verweilen und die eigene Fantasie zum Zuge kommen zu lassen. Das tut in Zeiten der medialen Überforderung gut. Auch wenn eine Performance dann wie jene von Baek zur Herausforderung wird, wenn sie choreografisch eindimensional angelegt ist. Andererseits öffnen sich dadurch neue Sehräume und Parallelen zur Skulptur in der Bildenden Kunst wie bereits hier in einer Kritik dazu von Isabelle Neumann-Cosel zu lesen war.

Prägnanter die Arbeit von Nemoto. In schwarzer Alltagskleidung steht er an einem Tisch, auf dem Computer, Lautsprecher und Kabel stehen. Locker fummelt der ehemalige Balletttänzer an allem herum, begrüßt das um ihn im Kreis sitzende Publikum, um dann mit schnörkellosen Arm- und Streichbewegungen über eine Soundplatte Geräusche aufzunehmen.

Versteckte Mikros am Körper machen jede kleinste Bewegung seines Körpers hörbar und werden eingespeist, bis der Moment kommt, an dem Nemoto die Arena betritt und anfängt zu improvisieren. Er macht das wunderbar. Samtweich federt der Tänzer über den schwarzen Boden, hin und her, sein Stil erinnert immer wieder an Break- und Urban Dance, hat sich aber die Feinheit des erfahrenen Bühnentänzers bewahrt. Auch die dabei entstehenden Geräusche werden in den Rechner gespielt, so dass irgendwann ein spannendes Wechselspiel aus sich permanent überlagernden, immer wieder abgespielten Soundlandschaften aus Geräuschen und einzigartiger, flüchtiger Tanzbewegung entsteht. Bezwingend wirkt seine Performance immer wieder durch Momente, in denen ein Bild vom heutigen Menschen entsteht: der urbane, kreative Individualist, der Druck ausgesetzt ist, Stress, permanentem Machen und Rennen.

Virtuos auf die Spitze treibt dieses Moment schließlich Hiroaki Umeda, der auf herausragende Weise Bewegung, visuelle Künste, Sounddesign und skulpturales Denken vereint. Ein weißes Quadrat dient ihm als Bühne. Seine Hände zittern virtuos. Der Körper selbst: noch in Stille. Dann sind die Arme dran. Dann Kopf, Oberkörper, Beine. Umeda lässt Bewegungen durch seinen Körper rollen, springt schnell in Posen, Arme und Beine oft wie ein Kampfkünstler erhoben. Dreißig Minuten geht das. Das Licht ändert sich. Als ob wir ein Video sehen. Einen Film. Nach zwanzig Minuten Pause ereignet sich dasselbe, wenn auch reduziertere Körperspiel, da Millionen Punkte auf seinen Körper, den Boden, die Rückwand projiziert werden. Der Körper erscheint als Zellhaufen im Universum. Als verdichtetes Stück Materie im galaktischen Nebel. Die Videobilder beginnen sich zu bewegen und irgendwann weiß man nicht mehr: Dreht sich das Universum, weil sich Umeda bewegt oder ist es umgekehrt. Dieselbe Choreografie, gerade mit dem Körper vollzogen, realisiert sich in den Bewegungen des grauweißen Raumbildes, das sein Erscheinungsbild hin zu Flächen verändert, während Umeda rennt, verharrt, sich blitzschnell um ein paar Grad dreht. Diese Aufführung könnte ewig gehen oder nur drei Minuten. Sie setzt vollkommen das eigene Zeitgefühl außer Gefecht. Sollte „TECart“ mit weiteren Grenzüberschreitungen dieser Art beglücken, kann man die Tanzbiennale getrost um ein weiteres Jahr verschieben.
 

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