Hommage an einen Großen des Ausdruckstanzes
Das DanceLab Berlin feiert im Dock 11 Harald Kreutzberg
Eine neue Edition reflektiert Yvonne Georgis Werk und Person
Im Sprungfoto auf dem Rücktitel und nochmals im Buch sieht sie wie eine Mischung aus Mary Wigman und Gret Palucca aus. Bei Wigman hat sie in Dresden studiert, mit Palucca, die sie aus der Wigman-Schule kannte, hat sie Duo-Abende gegeben und musste sich dabei gegen die gefürchtet sprunggewaltige Partnerin behaupten, was offenbar gelang. Nun liegt über sie eine eigene Publikation aus dem Wienand Verlag vor. „Yvonne Georgi“ heißt sie auf dem Titel in blauglänzendem Schriftzug über einem imposanten Brustbild der Tänzerin im Halbprofil, wie es auch ein Programmzettel für ein Gastspiel von 1929 in Chicago verwendet. Einen biografischen Band mit Lebensdaten von A bis Z darf man indes nicht erwarten. Vielmehr haben sich Frank-Manuel Peter und Yvonne Hardt als Herausgeber eine andere Aufgabe gestellt: „Tagebuch und Dokumente zu Tanztourneen mit Harald Kreutzberg (1929-1931)“ lautet die Eingrenzung in der Unterzeile und schließt „Eine andere Recherche zu den Potenzialen einer kritischen Nachlassforschung“ mit ein.
Kernstück mit gut 50 illustrierten Seiten und Aufmacher der Edition ist ein Nachdruck von Georgis Tagebuch aus der Zeit November 1928 bis März 1929, von der Vorbereitung der ersten Amerika-Tour des Tanzpaars, der turbulenten Überfahrt und den einzelnen Stationen ihres Triumphs. Ob die lakonisch verknappten Eintragungen in schwungvoller Schrift je für eine Veröffentlichung gedacht waren oder nicht doch streng privatissimo sind, bleibt hier die Frage. Georgi (1903-1975), zur Tagebuchzeit gerade Mitte 20, offenbart sich darin als lebenslustiges, feierfreudiges „Wigman-Mädchen“, das voller Hoffnungen in ihre Tänzerinnenzukunft blickt und auf den großen Durchbruch wartet. Akribisch, fast minuziös listet sie pro Tag auf, was sie zu jeder Stunde erlebt und erledigt hat. Neben unspektakulären Anmerkungen wie gebadet, gegessen, geschlafen und gelacht ist sie nicht zimperlich, auszuteilen, die Menschen ihres Umfelds lebendig, spitzzüngig, bisweilen boshaft zu charakterisieren. „Geschicktes Kitschweib“, „entsetzlich schwul“, „fett“, „stark verwittert“ liest man da über Begegnungen, und auch die Amouren ihres Tanzpartners Kreutzberg finden Aufnahme ins Tagebuch. Dass sie einen schwulen Ball in Harlem dann doch als „zum Kotzen“ beschreibt und an anderer Stelle Kollegen „Judenlümmel“ nennt, muss man lesend hinnehmen.
Der Erfolg ihrer ersten USA-Tournee, die sich bis nach Kanada ausdehnt und der zwei weitere folgen sollten, ist dennoch unbestritten, wobei in der Presse des öfteren Kreutzberg als der künstlerisch nachdrücklichere Part des Duos konstatiert wird. Jene beiden weiteren Gastspielreisen, von denen kein Tagebuch erhalten ist, sind zumindest in Foto und Presseschau vertreten. Zwischengeschaltet sind vier Texte, in denen sich Yvonne Hardt und angehende Tanzwissenschaftler*innen anhand von Georgis Tagebuch mit zentralen Fragen der Forschung befassen: wie man mit biografischen Quellen umgeht, was daran Selbstdarstellung und Selbstvermarktung, was aussagekräftiges, da historisch verbürgtes Material ist.
Interessantester, aufschlussreichster Teil sind die knapp 50 Seiten umfassenden Erinnerungen von Yvonne Georgi, die sie 1973 auf Band gesprochen hat. Keine begnadete Rhetorikerin, keine tiefschürfend reflektierende Nachdenkerin vom Schlage einer Wigman oder Tatjana Gsovsky offenbart sich da, aber eine blutvolle Berichterstatterin des dicht Erlebten. Und dies erhebt sie zu einer der großen Gestalten des Tanzes im vergangenen Jahrhundert, einer neugierig offenen Persönlichkeit, die dem klassischen Tanz später ebenso zugewandt ist, wie sie anfangs der Tanzmoderne ergeben war. Brückenbauerin ist sie so zwischen den Stilen, kann deshalb auch in der Nachkriegsära weiterwirken und Bedeutendes für den Bühnentanz leisten, namentlich als Ballettleiterin und Pädagogin in Hannover. In einem Interview mit Horst Koegler äußert sie sich zur Wertschätzung des Tanzes im Theater ihrer Gegenwart – und klagt Verbesserungen ein, wie sie sich seither nicht unbedingt eingestellt haben. Auch insofern ist der aus Georgis Nachlass entstandene Band eine Wegmarke, eine Momentaufnahme in der Entwicklung des Tanzes allgemein, über die Zeitspanne eines Tänzerinnenlebens hinaus. Dem Deutschen Tanzarchiv Köln als Georgis Nachlasswahrer gebührt dafür Dank.
„Yvonne Georgi. Tagebuch und Dokumente zu Tanztourneen mit Harald Kreutzberg (1929-1931)“, hrsg. Von Frank-Manuel Peter & Yvonne Hardt, Wienand Verlag Köln 2019, 200 S., reich illustriert, 28 Euro, ISBN 978-3-86832-542-3
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments