„Labyrinth“ von Grupo Oito

Aus dramaturgischer Sicht

Vor der Premiere „Labyrinth“ von Grupo Oito

Was macht eigentlich eine Tanzdramaturgin und wie wird man das? Katja von der Ropp spricht darüber mit Volkmar Draeger.

Berlin, 05/10/2022

Wenn am 14. Oktober Grupo Oito im Berliner Hebbel am Ufer mit „Labyrinth“ Premiere feiert, dann hat auch Katja von der Ropp einen gewichtigen Anteil daran. Anlass genug, sie selbst und, durchaus nicht selbstverständlich, ihre Arbeit als Dramaturgin vorzustellen: Wie der Weg der nahe Heilbronn Geborenen zum Beruf verlief und wie sich das neue Stück in ihrer Sicht spiegelt.
 

War Ihr Berufswunsch von Beginn an klar?

Nicht ganz. Ich habe bis 2007 Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und in Helsinki studiert. All das reizte mich, besonders auch Tanzwissenschaft, das war damals noch Teil der Theaterwissenschaft, nicht wie heute ein eigener Bereich. Im Fach Neue Deutsche Literatur habe ich die Seminare über Dramen besucht, also dem Theater galt schon mein Hauptinteresse, etwas weiter gefasst: der Darstellenden Kunst.

Wie kam Ihre Beziehung zu Helsinki zustande?

Meine Mutter ist Finnin, ich selbst habe die doppelte Staatsbürgerschaft. Zweimal je ein Jahr war ich in Helsinki, habe an der dortigen Uni Theater- und Politikwissenschaft belegt. Daher spreche ich finnisch, wenngleich nicht als Muttersprache. 

Das führte dann auch zur Übersetzung mehrerer finnischer Theatertexte ins Deutsche.

Ja, einige wurden inzwischen bereits an kleinen Theatern aufgeführt, beim Heidelberger Stückemarkt, in Rendsburg, München, Frankfurt, Österreich. Als der Verlag von „Theater der Zeit“ eine Anthologie mit Stücken herausgab, waren zwei meiner Übersetzungen enthalten, und auch in einer Publikation von „Drama Panorama“, einem Forum für Theater und Übersetzung, findet sich ein übertragenes Stück zu queerer Thematik.

Sie sind auch in der konkreten Theaterarbeit verankert.

Zum Beispiel als Mitbegründerin und Regisseurin von BRAND, einem Verein für theatrale Feldforschung. Wir initiieren Projekte im unmittelbaren Kiez, etwa Spaziergänge im Rahmen des Performing Arts Festival dieses Jahr oder einen Performance-Parcours zum Bauhausjubiläum 2019 durch die Gropiusstadt. Menschen Theater und Kultur nahezubringen, die sonst vielleicht wenig Berührung damit haben, das ist unser Anliegen. Ich liebe Theater in festen Häusern, aber man muss auch rausgehen, sich öffnen. „SUPERmensch“ war ein solches Projekt. Es beschäftigte sich mit dem Altern in einem Seniorenpflegeheim und den Superkräften, die Menschen dort entwickeln, um ihren Alltag zu bestreiten - humorvoll verfremdet als Comic. Spielort war der Flur in einem Heim, mit den Senior*innen hatten wir zuvor einiges an Zeit verbracht, gemeinsam gekocht oder gebastelt.     

Auch Studio Total geht neue Wege.

Das ist eine finnische Theatergruppe, die an ungewöhnlichen Orten spielt, international gut vernetzt ist und auch genreübergreifend arbeitet. An zwei in Deutschland gezeigten Stücken war ich als Dramaturgin beteiligt, so an „RadioLove“, einer einstündigen Live-Radioshow zwischen Traum und Realität, gezeigt 2020 im Theater Aufbau Kreuzberg. Und an „Die Wohnung“, das im März 2022 im Pathos München Premiere hatte und in dem der Alltag der Bewohner aus der Perspektive der Wohnung betrachtet wird.

Wie kamen Sie dann zu Grupo Oito?

Mein Freund Olaf Giesbrecht hat für zwei Stücke von Grupo Oito die Musik gemacht, so kam der Kontakt zustande. Mich interessiert es, Zwischenbereiche vom Tanz aus zu betrachten, genreübergreifend mit Bewegung zu arbeiten, das verbindet mich mit Grupo Oito. Am Anfang haben wir gemeinsam Förderanträge gestellt, dann folgte das Projekt „MIMIMI Space“ mit Ricardo de Paula, „Labyrinth“ ist bereits meine dritte Produktion mit der Gruppe. Zur Vorbereitung darauf war uns eine Residenzförderung vom Fonds Darstellende Künste eine große Hilfe.

Labyrinth ist ein weites Thema, vom sagenumwobenen Versteck des Minotauros in der Antike über das labyrinthische Bodenmuster mit Minotauros-Darstellung in der Kathedrale von Chartres aus dem 13. Jahrhundert bis zu den Irrgärten des Barock.

Das Labyrinth hat eher spirituelle Bedeutung, seine Herkunft ist unbekannt. Es ist verbunden mit Initiationsriten oder der Selbstfindung, oft geht es um den Weg zu einem symbolischen Tod und danach zurück ins Leben. Bei uns spielt der Begriff auch mit der Bedeutungsebene des in die Irrelaufens oder dem Gefühl, in eine Sackgasse zu geraten, wenn es um das soziale Labyrinth geht. Die sechs Tänzer*innen gehen ihren Weg durch das Stück und den offenen Raum, die Zuschauer*innen sind dazu eingeladen, es ihnen nachzutun und ihren eigenen Weg zu finden.

Was hat Sie zu dem Stück mit dem Untertitel „Ein Tanz durchs Labyrinth des Lebens“ konkret inspiriert?

Das Thema stammt von Ricardo de Paula, angeregt hat ihn das Schicksal und Schaffen des 1989 verstorbenen Schwarzen brasilianischen Künstlers Arthur Bispo do Rosário. In einem früheren Projekt war ich auf die 1970 in den Freitod gegangene Berliner Schriftstellerin und Zeichnerin Unica Zürn gestoßen. Beide Künstler*innen teilten die Diagnose Schizophrenie, beide verbrachten einen Teil ihres Lebens in psychiatrischen Kliniken. Beide scheiterten an ihrem patriarchalen und rassistischen Umfeld. Als Außenseiter*innen passten sie nicht in die Norm und fanden einen Ausweg aus ihrem sozialen Labyrinth nur durch Flucht in eine andere, künstlerische Realität. In einem Buch über ihn wird Bispo als Meister des Labyrinths bezeichnet, er gestaltete in seiner Anstalt mehrere Räume.

Was beabsichtigen Sie mit dem Stück?

Es soll Publikum und Tanz in ein anderes, unübliches Verhältnis bringen. Die Zuschauer müssen Eigeninitiative ergreifen und entscheiden, welcher der sieben Stationen sie sich zuwenden, weil es nicht möglich sein wird, alles zu sehen. Jeder sieht also etwas anderes, es gibt keine fixe Lesart, sondern viele persönliche Eindrücke und Interpretationen. Zentrales Bühnenelement sind Spiegel. Alle Beteiligten, Tanz wie Publikum, erblicken sich gleichermaßen darin.

Inszenierung und Choreografie stammen von Ricardo de Paula. Welchen Anteil haben die sechs multinationalen Tänzer*innen?

Sie haben ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus und Sexismus, seelischen Verletzungen und Gewalt eingebracht, verfolgen in dem Stück auf der Suche nach einem Ausweg aus dem sozialen Labyrinth gewissermaßen ihre eigene Spur. Sie bringen ihre Körperlichkeit mit und ein und fragen, auch in selbst verfassten Textfragmenten, ob uns Spiritualität, eine neue Verbindung zur Natur und zu höheren Wesen Energie geben, sogar Heilung bringen könnte. Dabei unterstützen die erwähnten Stationen, bei denen auch ein Netz, Erde sowie hängende Folien eine Rolle spielen.

Wie würden Sie „Labyrinth“ klassifizieren?

Ein Stück mit dem Schwerpunkt Tanz, kein Sprechtheater. Eine Idee, wohin die Reise gehen könnte. Eine Anregung, über sich und die Welt nachzudenken.
 

Labyrinth: 14.-16. Oktober, HAU2, Hallesches Ufer 32, Tickets unter 030-259 004 27 und tickets@hebbel-am-ufer.de   

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