Martin Lobigs:  »Das Tanzen bleibt.« Unterwegs mit den Ballets Jooss. Das Album der Tänzerin Bé 1924-1956.

Bé und das Ballets Jooss

Martin Lobigs kleine Geschichte über das Ballets Jooss und seine Mutter Bé, die dort tanzte.

Das Werk eines Sohnes: Martin Lobigs legt eine kleine Geschichte über das Ballets Jooss, seine Amerikatourneen und seine Mutter Bé vor. Mit Schauplätzen in Europa, Amerika und Asien.

Dieses Buch sind eigentlich drei Bücher. Es erzählt die Geschichte der Tänzerin Beatris Vitringa, zumeist nur Bé genannt, des Ballets Jooss in England und von seinen Welttourneen im zweiten Weltkrieg und schließlich die Geschichte der Ballets Jooss und ihres Leiters Kurt Jooss mit der Wiedergründung der Tanzsparte an der Folkwang-Schule in Essen. Entsprechend vielgestaltig ist bereits der Titel: „»Das Tanzen bleibt« Unterwegs mit dem Ballets Jooss“ und als Untertitel „Das Album der Tänzerin Bé 1924-1956“.

Der Begriff des Albums ist keine Übertreibung, denn Martin Lobigs, der den Band herausgegeben hat, ist der Sohn von Beatris Vitringa und hatte nach dem Tod der Mutter 2011 Zugriff auf deren kompletten Nachlass. Der studierte Historiker konnte damit aus dem Vollen schöpfen und musste dennoch eine nicht unwesentliche Passage aus Fremdmaterialien bestreiten, denn die Tourneen durch die beiden Amerikas 1940-1942 fanden ohne seine Mutter statt, was man dem Bildmaterial, das sich in diesem Bereich vor allem aus historischen Stadtansichten speist, anmerkt. Denn ansonsten befördert die besondere Nähe zu den Materialien einige schöne Schätze zutage.

Schon das Aufwachsen auf Java, wo der Vater William Chefingenieur der Wasserwerke in Bandung war und damit Teil des zivilen Personals in der niederländischen Kolonie, bringt spannende Einblicke in den Versuch, das europäische Kulturleben kolonial zu verpflanzen. Ihre Mutter Theodora, gelernte Krankenschwester, ist dem Mann nach Java gefolgt. Hier wird Beatris Vitringa am 7. Juli 1924 geboren. Die westliche Elite pflegt einen mondänen Lebensstil, lädt internationale Künstler ein, und so ist bereits für die sechsjährige Bé nach dem Besuch einer Vorstellung der Dandré-Livittoff-Compagnie klar, dass sie wie Anna Pawlowa werden möchte. 1939 siedelt sie daher kurzzeitig nach England über, um bei Kurt Jooss in Darlington Hall Tanz zu lernen.

Jooss – geboren 1901, gestorben 1979 – war da schon im Exil. Er war 1927 der Mitbegründer der Folkwangschule in Essen gewesen und hat mit seinen Ballettarbeiten „Der Grüne Tisch“ von 1932, uraufgeführt in Paris, oder „Chronica“, das 1938 in Cambridge auf die Bühnen kam, Tanzgeschichte geschrieben. Nun trifft er in England auf die 15-jährige Bé und nimmt sie unter seine Fittiche. Doch der Krieg reißt die Arbeitsbeziehung bald auseinander. Bé kehrt 1940 nach Java zurück, und die Ballets Jooss gehen auf große Amerikatour. Das Buch zeichnet alle diese Phasen minutiös nach, und man erfährt etwa Details zu den Internierungslagern der Japaner und die Rückkehr der Familie nach Europa.

Zugleich gewährt Lobigs tiefe Einblicke in das Privatleben seiner Mutter. Parallel berichtet er kenntnisreich und offenbar quellengesättigt von dem Unbill, die das Ballett in Süd- und Nordamerika erlebt hat – eine wahre Abenteuerreise mit Tanz. 1951 schließlich stößt Bé wieder zur neuen Compagnie von Jooss an der Folkwang-Schule und wird später ihr eigenes Tanzstudio in Düsseldorf gründen.

Martin Lobigs schafft es, dieses Konvolut an Daten, Personen, Wegen, Privatem und Politischen auf 158 Seiten in gut rezipierbare Einheiten zu unterteilen. Er arbeitet mit Zitaten und Zusammenfassungen und gerne auch einem Übermaß an Details, wenn etwa die finanziellen Aufwendungen in Düsseldorf 1951 auf die Mark genau ausgerechnet werden oder die Kommunikation zu logistischen Problemen während der Südamerika-Tour allzu akribisch ausgewertet werden. Es ist ein Buch zum Lesen und Blättern gleichermaßen und dürfte aufgrund seiner klaren Strukturierung sogar als brauchbares Nachschlagewerk taugen, zumal sich im Anhang zahlreiche Dokumente als Faksimile finden lassen und natürlich zahlreiche Quellenangaben zu Text und Bild.

So ist das Buch mehr als die gelungene Hommage ihres Sohnes an Beatris Vitringa, genannt Bé, und ihre Zeit beim Ballets Joos. Es ist ein spannendes Zeitzeugnis über den Tanz in den Wirren des 20. Jahrhunderts.

Martin Lobigs.»Das Tanzen bleibt«. Unterwegs mit den Ballets Jooss. Das Album der Tänzerin Bé 1924-1956. Henschel Verlag. 26,00 Euro.

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