Fliegen ist nicht immer schöner
Mourad Merzoukis Compagnie Käfig mit „Vertikal“ bei den Ludwigshafener Festspielen
„Folia“ von Mourad Merzouki und der Cie. Käfig als Gastspiel im Ludwigshafener Pfalzbau
Der Krieg in Israel hat weitreichende Folgen – auch für den Kulturbetrieb. Einer der Höhepunkt im Tanzprogramm der Ludwigshafener Festspiele hätte das Gastspiel der Batsheva Dance Company mit Ohad Naharins eher nachdenklichem „Last Work“ sein sollen. Kriegsbedingt konnte/durfte die Company nicht ausreisen. Das Alternativprogramm hätte gegensätzlicher nicht ausfallen können: Mit „Folia“ (2018) einer fulminanten Verbindung von Konzert und Tanzfest, hat Mourad Merzouki einen internationalen Hit gelandet, mit dem seine Cie. Käfig seitdem regelmäßig tourt. Der Direktor des Centre Chorégraphique de Créteil et du Val gilt als der Choreograf, der HipHop auf der Theaterbühne salonfähig gemacht hat. Wo Merzouki draufsteht, ist also HipHop drin; das gilt auch für „Folia“. Freilich bietet dieser dichte, ziemlich genau einstündige Abend weit mehr – und wer bei dem Titel auch ein bisschen Verrücktheit assoziiert, liegt nicht ganz falsch.
Der große Glücksgriff dieses Abends ist die Zusammenarbeit mit Franck-Emmanuel Comte, einem Musiker, der sich mit seinem Ensemble „Concert de l’Hostel Dieu“ der Barockmusik verschrieben hat – genauer gesagt einer Erneuerung des Genres, das sehr viel vielfältiger ist als sein Ruf. Hat man unter diesem Etikett jemals so feurige Tänze gehört wie die titelgebende ursprünglich portugiesische Folia oder die italienische Tarantella? Angetrieben von einem unerbittlichen elektronischen Beat, fiedeln zwei Mitglieder des siebenköpfigen Musiker-Ensembles (ergänzt durch eine Sopranistin) wie veritable Teufelseiger die zehn Tänzer*innen des der Compagnie in Grund und Boden, bevor sie auf’s Wundersamste wiederauferstehen.
Mourad Merzouki hat die Grenzen des Tanzes immer schon ausgedehnt und neben der Tanzkultur der Straße beispielsweise auch Zirkus und Kampfsport mit einbezogen. In „Folia“ wird ein Tanzfest gefeiert, dass sich aus allem nährt, was die Mitglieder seiner Compagnie bieten können. Klassischer Spitzentanz ist ebenso in dieser Wundertüte wie anspruchsvolle Hebungen, fantastische Sprünge und wilde Körperspiele mit Himmelskörper-Bällen oder auf einem riesigen Luftkissen. Ein rasender Derwisch im weiten weißen Rock dreht sich acht Minuten lang ununterbrochen im Kreis. Da haben Schwerkraft und Fliehkraft keine Chance auf ihre übliche Macht.
HipHop-Akrobatik, das Markenzeichen der Cie Käfig und längst ein Bühnenklassiker in der schweren Kunst der Leichtigkeit, bildet natürlich den Höhepunkt. Egal, dass da auch ein paar Klischees bedient werden und das Ende mit rieselndem Weiß (Schnee, Sternenstaub?) sich leisen Kitschverdacht gefallen lassen muss - so ein opulentes Tanzfest punktet hochgradig gegen schlechte Zeiten. Die Besucher feierten die 60 Minuten Ausnahmezustand mit Standing Ovations.
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