„Othello Tango“ von Luciano Padovani 

Emotionale Explosionen im traurigsten aller Tänze

Compagnia Naturalis Labor mit „Othello Tango“ von Luciano Padovani in Ludwigshafen

Das Konzept, Tango in allen Variationen mit zeitgenössischem Tanz zu mixen, geht auch in dieser Produktion auf. Gelegentlich wird ein kleines bisschen zu tief in die Kiste der dramatischen Bühneneffekte gegriffen.

Ludwigshafen, 24/10/2024

Vor neun Jahren gelang dem italienischen Choreografen Luciano Padovani ein Geniestreich: eine Tango-Adaption von Shakespeares Klassiker „Romeo und Julia“ wurde zum international erfolgreichen Hingucker. Seitdem ist der Choreograf mit seiner Compagnia Naturalis Labor (Vicenza) auf Tango-Mission; das Stück „Piazzolla Tango“ markierte vor drei Jahren das Ende der Corona-Beschränkungen im Pfalzbau. Für seine jüngste Produktion – zu sehen im Rahmen der Ludwigshafen Festspiele – hat sich Padovani auf sein Erfolgsrezept besonnen und noch einmal ein Shakespeare-Drama mit dem traurigsten aller Standardtänze zusammengemixt. Das Ergebnis ist höchst theatralisch, sehr rot und ziemlich laut. Fast scheint es, als würde der Choreograf den Ausdrucksmitteln des Tanzes nicht hundertprozentig trauen, wenn zusätzlich zu den bekannten Akteur*innen die dunklen Mächte böser Gedanken als schwarz vermummte Geister ihr personifiziertes Unwesen auf der Bühne treiben. 

„Der Eifersüchtige ist immer ein Mohr“, notierte Max Frisch (lange vor jeglichen Rassismus-Debatten) in seinen Tagebüchern und bezog sich dabei auf die selbstzerstörerische, bohrende, Frage aller eifersüchtig Liebenden: „Was hat der andere, das ich nicht habe?“ Man wird – leider – ausnahmslos immer fündig. In diesem Fall könnte es das Haupthaar sein. Othello-Protagonist Marco Pericoli ist ein außerordentlich großer, massiger und starker Tänzer, mit kompletter Glatze nicht unbedingt das Idealbild eines klassischen Adonis. So sehr ihn auch Selbstzweifel plagen mögen – Desdemona (Alice Risi), neben ihm zart, fast zerbrechlich wirkend, macht aus ihrer unverbrüchlichen Zuneigung keinen Hehl. 

Ein Höhepunkt dieses Stücks ist der Moment, in dem die Beiden dann doch unvermutet die Rollen tauschen. In der Empörung über die ungerechte Anschuldigung des Liebesverrats wachsen ihr ungeahnte Kräfte zu, vor denen Othello zu Boden geht. Ein weiteres ungewöhnliches und attraktives Pas de Deux ist die Auseinandersetzung zwischen Othello und dem intriganten Drahtzieher Jago (Andrea Rizzo), ihm ebenbürtig an Größe und Stärke, aber mit der der schnellen, wendigen Biegsamkeit in alle Richtungen, die man gerne der Verschlagenheit zurechnet.

Das Konzept, Tango in allen Variationen mit zeitgenössischem Tanz zu mixen, geht auch in dieser Produktion auf. Padovani hat bei der Besetzung erneut den Kunstgriff verwendet, professionelle Tango-Tänzer*innen (kenntlich an den Tanzschuhen) mit Bühnentänzer*innen zu mixen; letztere tanzen barfuß und wirken so gleichzeitig geerdet und verletzlich. Nur in einer Szene, in der die Frauen aus ihrer überanschmiegsamen Rolle fallen dürfen, tragen sie die üblichen Tanzschuhe – und machen so den Unterschied umso deutlicher. 

„Othello Tango“ ist eine typische Tourneeproduktion – dabei gekonnt genug, um auf Festivals eingeladen zu werden. Der dramatische Musikmix (von Tangokönig Astor Piazolla über Vivaldi und Elektronik bis zu Matthieu Saglios klagendem Cello in „Les Cathédrales“) lässt keinerlei Zweifel über die jeweilige Stimmung aufkommen. Mauro Zochhetta hat als raffiniertes Bühnenbild einen Vorhang für die Bühnenrückseite entworfen, der an die Textur alter Tapisserien erinnert und doch durchscheinend intensive Schattenspiele erlaubt. In den Kostümen von Chiara Defant dominiert – natürlich – das tangotypische Rot, die Farbe der großen Gefühle. 
Das alles passt stimmig zusammen – nur hat der Choreograf bei der legitimen Sicht auf den Publikumserfolg gelegentlich ein kleines bisschen zu tief in die Kiste der dramatischen Bühneneffekte gegriffen.  

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