„We call it a house“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft. Tanz: Antje Pfundtner, Juliana Oliveira und Matthew Rogers

„We call it a house“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft. Tanz: Antje Pfundtner, Juliana Oliveira und Matthew Rogers

Ein Haus für alle

„We Call it a House“ von Antje Pfundtner in Gesellschaft

Ein nachdenklich-heiteres Stück über die Frage, wem die Bühne gehört und wer sich dort trifft. Was als Film im Jahr 2021 begann, wurde jetzt live und in Farbe auf der Kampnagel-Bühne neu gefasst.

Hamburg, 22/02/2023

Wie so viele Künstler*innen musste auch Antje Pfundtner in Gesellschaft ihre Arbeit aufgrund der Corona-Restriktionen fast drei Jahre lang massiv eingrenzen. Dass sie sich davon nicht unterkriegen lassen wollte, zeigte die im Mai 2021 als Online-Premiere gezeigte erste Fassung von „We Call it a House“, die in der Kampnagelfabrik noch ganz ohne Publikum und nur mit Masken, aber wenigstens als Live-Übertragung stattfinden konnte (siehe tanznetz vom 23.5.2021). Jetzt konnte das Stück endlich seiner wahren Bestimmung zugeführt werden, dieses Mal mit Publikum und vor ausverkauftem Saal. Und Antje Pfundter in Gesellschaft wäre nicht, was sie ist, wenn sie das Stück nicht ein gutes Stück weiterentwickelt hätten. Lautete die Frage 2021 noch „Wer bin ich im Zusammenhang mit anderen? In welcher Verbindung stehen wir?“, geht es jetzt um die Fragen: „Wem gehört die Bühne? Wer kommt dorthin? Und wer trifft dort auf wen?“ Themen, die auch in den von ihr ins Leben gerufenen „Tischgesellschaften“ bearbeitet wurden.

Ein konkretes Ergebnis davon war, dass die Kompanie die Bühne für Gastauftritte öffnete – an jedem der drei Spieltage auf Kampnagel waren es andere. „Wir haben uns die Forschungsfrage gestellt: Wie teilt man Bühne?“, sagt Antje Pfundtner im persönlichen Vorgespräch zur Premiere. „Wir sind ja viele in der freien Szene, wie also teilen wir uns die Ressourcen? Schon vor Jahren gab es dieses Vorband-Format in Berlin, um aus dem Dilemma der Gönnerposition herauszukommen. Und ich wollte jetzt nicht mehr warten bis 2024, wenn sich unser nächstes Stück mit diesen Fragen beschäftigen wird, sondern das jetzt schon experimentell ausprobieren in Form von Mini-Diskursen – vor, nach oder mitten im eigentlichen Stück.“

Bei der Premiere am 17. Februar gab es insgesamt drei solcher Zusatzauftritte: zum einen die aus Taiwan stammende Perkussionistin Ying-Hsueh Chen als Vorprogramm. Sie bot eine Szene aus der Konzertperformance „HIT“ von Greta Granderath. Perkussion – das waren in diesem Fall jedoch keine Schlagwerke, sondern nur die eigene Stimme, die Ying-Hsueh Chen auf atemberaubende Weise einzusetzen und mit Zunge und Gaumen zu steuern wusste. Das war ein beeindruckendes Zirpen und Klopfen, Säuseln und Pochen, Hämmern und Stöhnen. Grandios.

Als zweites kam mitten im Stück die Schauspielerin und Aktivistin Alrun Hofert aus dem Publikum auf die Bühne und gab eine kurze, fast schon slapstickartige Einlage als Cheerleader-Girl. Und dann war da noch Juliana Oliveira, eine der drei Hauptdarsteller*innen bei „We Call it a House“, die aus vollem Hals den FrontMan-Hit „We’ll be in trouble“ grölte. Drei grundverschiedene Möglichkeiten also, die Bühne für andere zu öffnen, die gerade keinen Ort haben, um sich und ihr Können zu zeigen. Bei den beiden noch nachfolgenden Vorstellungen waren es jeweils wieder andere Künstler*innen. Allein schon diese wunderbare Idee ist eine Neuerung von hohem Nachahmungswert.

Von großem Unterhaltungswert ist dann das gesamte Stück. „We Call it a House“ spielt mit einer blauen Klappmuschel, einem festgefügten sonnengelben Holzzelt und einem erst noch zu errichtenden knallroten Tipi, um den Begriff „Haus“ neben dem Ort der Bühne selbst zu füllen. Drei Primärfarben also, die mit für das Grundlegende stehen, das so einem Zuhause eigen ist. Von diesen verschiedenen „Aussichtspunkten“ aus betrachten die drei Performer*innen die Welt. Neben Antje Pfundtner selbst sind das Juliana Oliveira und Matthew Rogers, und jede*r ist auf ihre und seine Art umwerfend komisch und tiefgründig zugleich. Zum Beispiel, wenn sich Antje Pfundtner Boxhandschuhe aus Holz anzieht und noch dazu eine Maske aus Vollholz über den Kopf stülpt… Oder wenn sich alle drei über trennende Wände eines hölzernen Paravents, der ebenfalls als Haus dient, die Köpfe streicheln. Es gibt eine Vielzahl solcher Momente, die in Bann schlagen und ein Lächeln in die Seele der Zuschauer*innen zaubern.

Bestechend auch die fließenden Übergänge zwischen Sprache und Tanz, die zärtliche Poesie der Berührungen. Kontrastiert von dem stellenweise ohrenbetäubenden Geklapper und Getrommel der sechs Holzschuhe, mit denen alle drei immer wieder die Bühne durchqueren, bis sie zum Schluss im Liegen mit emporgereckten Beinen immer wieder wie zufällig aneinanderstoßen, anklingen und verklingen, während das Licht verlischt, der Sound aber immer noch da ist, bis das Licht wieder angeht und das sanfte Pingpong weiter anhält. Es ist dieser ungemein lyrische Klang am Schluss, der eine fast magische Sogwirkung hat, so dass man gar nicht aufhören möchte, ihm zu lauschen.

„We Call it a House” ist ein Stück, dem man eine große Verbreitung wünscht, weil es auf so schwerelose Weise zum Nachdenken anregt, weil es so viel Zuversicht und Heiterkeit verströmt in diesen gar nicht so heiteren Zeiten. Und weil es klar macht: Wir sitzen alle im selben Haus. Irgendwie.
 

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