„Simple" von Ayelen Parolin / RUDA

Welterneuerung

Christian Rizzo mit „miramar“, Ayelen Parolin mit „SIMPLE” und Benjamin Abel Meirhaeghes „Madrigals“ bei ImPulsTanz 2023

Der Meerblick von Christian Rizzo ist ein düsterer, der allerdings in eine spannende Zukunft weist, während Benjamin Abel Meirhaeghe eine neue Gesellschaft entstehen lässt. Entgegen ihrem Stücktitel hat Ayelen Parolin eine sehr dichte Choreografie geschaffen.

Wien, 26/07/2023

Scheinwerferbalken über der Bühne, die den ganzen Abend hin und her fahren und dabei auch wie Überwachungskameras wirken, scannen zu Beginn die Bühne mit einem Lichtstreifen im Lichtdesign von Caty Olive. Eine einsame Tänzerin, die verloren scheint. Sie erkundet das Terrain im Halbdunkel. Wer einen schönen Meerblick erwartet hat, der wird vielleicht enttäuscht worden sein, denn der Bühnenprospekt ist tiefschwarz. So wirkt „miramar“ von Christian Rizzo / ICI—CCN Montpellier Occitanie sehr dunkel. Ein Eindruck, der auch durch die sich langsam aufbauende und immer lauter werdende Musik von Gerome Nox mit einem treibenden Bass verstärkt wird. Weitere Tänzer*innen kommen als Gruppe auf die Bühne und beobachten Einzelperson bevor sie diese in ihre Gruppe aufnehmen. Doch die Gruppenstruktur bleibt nicht lange bestehen. Es bilden sich immer wieder unterschiedliche Duos und Trios, die einzelnen Individuen gegenüberstehen. Die Anzahl der Tänzer*innen auf der Bühne variiert ständig. Es ist ein hin und her wie eine Wellenbewegung. Rizzos Choreographie befindet sich in einem ständigen Fluss, vieles erinnert an Contact Improvisation der 1990er-Jahre und scheint ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein. Manches Mal halten einzelne inne, betrachten den schwarzen Hintergrund und wirken dabei auch abwartend. Gegen Ende tritt ein Tänzer mit einer goldenen Fahne auf – verkündet er eine neue Zeit? Wenn, dann scheint es so, dass nur eine Tänzerin diese erleben wird, denn die anderen hat das Meer geholt. Der Schriftzug „I see you“ erscheint – gibt es also eine Macht, die uns beobachtet? Die uns vielleicht noch einmal die Chance gibt, es besser zu machen?

Auf die Suche nach einer neuen Gesellschaft hat sich der belgische Countertenor und Regisseur Benjamin Abel Meirhaeghe mit dem Muziektheater Transparant für sein Stück „Madrigals“ gemacht. Ausgangspunkt sind Claudio Monteverdis „Madrigali guerrieri ed amorosi“, die er ins heute holen will. Doch so ganz scheint dieser Plan nicht aufzugehen, der Abend wirkt teilweise als ob es zu viele Ideen und nicht wirklich eine Dramaturgie gegeben hat. Von der Geburt des Menschen über den Sündenfall im Paradies hin zu Lagerfeuerromantik inkl. Fesselspiel und Gitarrenklängen entwickelt sich das Geschehen. Vielleicht wird auch hier am Ende eine neue Gesellschaft oder Religion verkündet. Die acht herausragenden Sänger-Performer*innen singen nackt nicht nur Monteverdi sondern auch Kompositionen von Doon Kanda (aka Jesse Kanda), begleitet werden sie dabei von vier Musiker*innen. Die Nacktheit der Darsteller*innen erschließt sich nicht wirklich, obwohl man sie natürlich als den unschuldigen, reinen Menschen interpretieren könnte. Unterschiedliche Bildende Kunst von zahlreichen Künstler*innen, die teilweise an religiöse Symbole erinnert, hängt vom Schnürboden. Alles in allem ein übervoller Abend, der entgegen der Ankündigung nur 80 und nicht 120 Minuten gedauert hat. Vielleicht hat aber auch diese Kürzung zu manch unvollständigen Szenen geführt und den Handlungsbogen zerstört.

Knallig bunt, unterhaltsam und gar nicht einfach ist hingegen „SIMPLE“ von Ayelen Parolin. Marie Szersnovicz hat die drei Tänzer in bunte Ganzkörpertrikots gesteckt und einen Bühnenprospekt mit Farbverlauf gestaltet. Das Setting und auch die choreografische Sprache erinnern teilweise an Merce Cunningham. Wiederholungen in unterschiedlichen Tempi bzw. mit leichten Abänderungen sind ein wichtiges Motiv des Abends. Obwohl Parolin ohne Musik auskommen wollte, entsteht durch unterschiedliche Formen von Stampfen ein Rhythmus. Gegen Ende der knapp einstündigen Choreografie werden die beeindruckenden Tänzer, die mit großer Präzision arbeiten, immer überdrehter, singen Ausschnitte aus Gloria Gaynors Discohit „I will survive“, zerbrechen Holzlatten und treten zum Abschluss auch noch als Schlagwerksektion einer Marching Band auf. Kein Cunningham!

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