Demis Volpi anlässlich der Pressekonferenz beim Hamburg Ballett

Demis Volpi anlässlich der Pressekonferenz beim Hamburg Ballett

Ein vielversprechender Prolog

Demis Volpi präsentiert seine erste Spielzeit beim Hamburg Ballett

Mit viel Geschick und Fingerspitzengefühl gestaltet der designierte Ballett-Intendant die nächste Saison – seine erste und deshalb besonders wichtige.

Hamburg, 19/03/2024

Manchmal sind es die kleinen menschlichen Gesten, die die Herzen im Sturm erobern. Bei John Neumeier war es das Eingeständnis eines kurzen Blackouts bei seiner ersten Ballettwerkstatt am 9. September 1973, der bei dem ihm bislang wenig wohlgesonnenen Publikum spontan das Eis brach. Bei Demis Volpi war es jetzt ein kleiner Stoßseufzer vor Medienvertreter*innen zu Beginn der Spielzeit-Pressekonferenz am 18. März in der Hamburgischen Staatsoper: „Puh, aufregend …“ Es war diese Offenheit und Ehrlichkeit, das Zugeben des eigenen Lampenfiebers, wie dieses neue Programm wohl von den Medien aufgenommen werden würde nach 51 Jahren John Neumeier, das der fühlbaren Spannung im Raum die Spitze nahm und die Atmosphäre lockerte. 

Und so konnte Demis Volpi dann in aller Ruhe und mit zunehmender Sicherheit präsentieren, was er in der Spielzeit 2024/25 beim Hamburg Ballett vorhat. Das ist einiges, es ist ein mit viel Fingerspitzengefühl und Respekt vor dem großen Erbe zusammengestelltes Programm unter dem Motto „Prolog“. Ein Prolog, so Volpi, sei ein prozessualer Anfang, bei dem Ideen oder Intentionen langsam eingeführt werden: „Es ist nicht alles sofort erkennbar, es wird etwas ‚gepflanzt‘, damit es wachsen, sich entwickeln kann.“ Er wolle in dieser ersten Spielzeit „Stücke präsentieren, die eine für das Hamburger Publikum neue Sicht auf den Tanz zeigen“, gleichzeitig aber das Repertoire pflegen, das Fundament des Hamburg Ballett aus der Ära Neumeier. Die Faszination und Vielfalt des Balletts solle Tradition und Innovation vereinen: „Diese Spielzeit ist eine Hommage an die Vergangenheit, eine Feier der Gegenwart und ein aufregender Blick in die Zukunft.“ 

Den Auftakt bildet ein vierteiliger Ballettabend, der das 1974 entstandene und seither nie wieder gezeigte „Adagio“ von Pina Bausch (die Einstudierung wird die legendäre Jo Ann Endicott selbst übernehmen) mit den „Variations for two couples“ von Hans van Manen, Demis Volpis „The thing with feathers“ und „The Times Are Racing“ von Justin Peck (Hauschoreograf beim New York City Ballet) vereint. Die Dezember-Premiere unter dem Titel „Slow Burn“ bringt William Forsythes „The Barre Project“ mit einer Uraufführung von Aszure Barton zusammen. Werke von ihr waren noch nie auf der Bühne der Staatsoper, wohl aber mit großem Erfolg auf Kampnagel zu sehen (siehe tanznetz vom 29. August 2023). Im Sommer 2025 steht dann zur Eröffnung der Ballett-Tage die erste abendfüllende Neukreation von Volpi selbst auf dem Programm: „Demian“ nach einem Roman von Hermann Hesse. Dabei geht es um die Suche eines jungen Mannes nach seiner eigenen Identität, eine Reise nach innen, erklärt Volpi, mit der schlussendlichen Erkenntnis, dass Gutes und Böses in jedem schlummern, dass Dinge hinterfragt werden und nicht blind befolgt werden müssen – ein hochaktuelles Thema in unserer Zeit. 

Aus dem Repertoire sind Neumeiers „Endstation Sehnsucht“, „Die Glasmenagerie“, „Der Nussknacker“, „Matthäus-Passion“, „Odyssee“, „Romeo und Julia“, „Nijinsky“, „Epilog“ und als Wiederaufnahme „Der Tod in Venedig“ zu sehen sowie Cathy Marstons „Jane Eyre“. 

Die Ballett-Werkstätten bleiben ebenso erhalten wie die alle zwei Jahre gezeigten „Ersten Schritte“ der Ballettschule (Gigi Hyatt bleibt dort die Pädagogische Leiterin und Stellvertreterin von Demis Volpi als Direktor) – allerdings mit der klugen Erweiterung, dass es eine eigene Matinee für Schulklassen und die Wiederaufnahme von Volpis „Karneval der Tiere“ geben wird. 

Eine klare Dominanz der Tradition also noch, aber auch eine behutsame Annäherung an andere Stilrichtungen (Justin Pecks Stück z.B. wird in Sneakers getanzt). Es spricht für Demis Volpis Klugheit, dass er hier keinen radikalen Bruch vollzieht, sondern dem Hamburger Publikum und auch der Kompanie mit aller Vorsicht etwas Neues, Ungewohntes nahebringt. Man spürt in dieser Spielzeitgestaltung den großen Respekt, mit dem er seine Aufgabe antritt, die enorme Wertschätzung für das, was John Neumeier in den 51 Jahren seines Wirkens geformt hat. Dafür spricht auch die noble Geste, die Moderation der 50. Nijinsky-Gala zum Ende der Spielzeit 2024/25 seinem Vorgänger zu überlassen. John Neumeier habe, so Volpi, „nicht nur die Kunst auf der Bühne, sondern auch nach innen ein Kunstwerk gestaltet. Noch nie hat ein Künstler 51 Jahre lang eine Kompanie geleitet. Noch nie hat ein Choreograf von dieser Tragweite seine Kompanie zu Lebzeiten aufgegeben. Wir haben kein Handbuch für das, was wir hier gerade machen, wir haben auch keine Vorbilder. Deswegen ist es wichtig, dass wir uns immer daran erinnern, dass der Tanz im Mittelpunkt zu stehen hat. “ Ein vielversprechender Auftakt zu einem spannenden Prolog. 

 

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