Pailletten funkeln, ganz von Heute

Der Anfang des neuen Kollektivs „tanzt.“ ist gemacht

Rebecca Horner und Andrey Kaydanovskiy, beide Tänzer*in und Choreograf*in mit unterschiedlich staatstheatralem Hintergrund, testen die Unabhängigkeit. Das Duo lud zum Einstand in das morbid-möndäne Südbahnhotel am Semmering.

Semmering, 12/11/2024

Fin de siècle-Flair, wohin das Auge während der letzten Meter beim Aufstieg vom Bahnhof bei spätherbstlicher Dämmerung reicht. 90 Kilometer von Wien entfernt eröffnet sich in der Semmeringer Bergwelt das Südbahnhotel. 1882 erbaut, lange brach liegend, seit wenigen Jahren als Kulturstätte wiederentdeckt: Für einen Abend lang ziehen hier Rebecca Horner und Andrey Kaydanovskiy mit den Tänzer-Kolleg*innen Mila Schmidt und Robert Weithas in den imperial anmutenden, von Prachtlustern erhellten einstigen Speisesaal ein. Gemeinsam mit dem Elektroniker Christof Dienz und dem Trompeter Lorenz Raab steht vor allem die österreichische Erstaufführung des im letzten Sommer beim Schweizer Origen Festival auf der Burg in Riom herausgebrachten Quartetts „BEEF“ auf dem Programm.

Davor aber lässt sich weit ausschreiten in der großzügigen Architektur, in der auch extra für den Anlass großformatige Körper-Bilder der zeitgenössischen Künstler*innen Annemarie D. Humele und Luis Casanova Sorolla hängen. Da entspinnt sich unverwandt zwischen den Schlendernden ein verführerisch-strenger Prolog zweier Frauen zum späteren grotesk-dunklen Tanzdrama. Horner und Schmidt umgarnen einander in fließenden Paillettenkleidern (von Arthur Arbesser). Da funkelt und blitzt es in den verschlungenen Gemeinsamkeiten, in denen eleganter Bewegungsfluss mit mancher Gefühls-Attacke zelebriert wird. Die eine drückt der anderen auch einen Kuss auf, im Hintergrund Vivaldi-Klänge. 

Anziehung, Überbietung, Gefahr einer Entäußerung? Darum geht es verschärft in dem einstündigen mehrteiligen Werk „BEEF“ von Andrey Kaydanovskiy. Den Titel hat der Choreograf der Hip-Hop-Sprache entlehnt und meint damit eine aggressive Auseinandersetzung mehrerer Parteien. Komponist Christof Dienz liefert eine mehrteilige, zeitgenössische, bildhaft klingende Serie, die Kaydanovskiy ausreichend Klangraum gibt für ein sich stetig steigerndes Szenarium aus intensiv aneinander geratenen Figuren (Anzüge von Karoline Hogl). Eine überrollt die andere. Bewegungssprachlich tauchen groteske Verzerrungen auf. Die immer wieder nachgebesserte fratzenhafte Gesichtsschminke unterstützt den adrenalingesteigerten Weg. Als einer der Vier (Kaydanovskiy) zum Monster wird und seine gekrallte Hand nicht mehr lösen kann, mag der Andere ihm nur mit Weichheit kommen. Der Aggressor bleibt allein.

Gern würde man „BEEF“ einmal auf einer professionellen, geleuchteten Bühne sehen. Man darf also gespannt sein, wie es weitergeht mit dem Kollektiv „tanzt.“                                                                                                                     

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