Intime Welt von Hinterlassenschaften
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„DRESSING THE CITY UND MEIN KOPF IST EIN HEMD #02“ – eine Neuinszenierung im öffentlichen Kölner Raum
Von Frederike Bohr
Reges Treiben in den Straßen der Kölner Innenstadt. Menschenmassen strömen, bepackt mit Einkaufstüten, in Richtung Schildergasse. Autokolonnen schieben sich über die Nord-Südfahrt, lautes Hupen, Touristengruppen säumen den Weg, Stimmengewirr. Doch etwas ist anders an diesem Samstagnachmittag im Kolumba-Viertel:
Kleiderhaufen säumen den Weg, liegen verteilt auf dem Kirchplatz der Minoritenkirche. Unzählige blaue Jeanshosen sind fein säuberlich gestapelt zwischen zwei Laternenpfählen, ergänzt durch ein Paar Schuhe. T-Shirts liegen auf einer Straßeninsel, mosaikförmig geordnet mitten auf dem Asphalt.
Eine Frau mit rotgefärbtem Iro balanciert auf einem Mäuerchen. Ihr Punk-Style setzt sich im schrillen Outfit fort: knallblaue Pumps und auffällige Kleidung (Kostümbild: Rupert Franzen). Die Jacke der Frau umschließt eine nebenstehende Straßenlaterne wie in einer Art Umarmung. Die Tänzerin bewegt sich raumgreifend, mal kraftvoll, mal filigran. Das Kleidungsstück dehnt sich, erinnert an die Schwingen eines bunten Vogels. „Papa, was macht die da?“ ruft ein Kind. „Die Frau sieht aus wie ein Schmetterling!“ Eine andere Passantin hastet vorbei. Sie scheint von der Szenerie nichts mitzubekommen.
Mehr beiläufig als offensiv
Choreografin, Performance- und Installationskünstlerin Angie Hiesl und Roland Kaiser, Regisseur und Choreograf, bewegen sich seit Ende der 90er Jahre erfolgreich als künstlerisches Team an der Schnittstelle von performativer Kunst und Installation. Sie präsentieren ihre Projekte ausschließlich an vermeintlich ‚kunstfremden’ Orten – dort, wo man sie nicht erwartet.
Bereits 2011 wurde „DRESSING THE CITY UND MEIN KOPF IST EIN HEMD“ mit Darsteller*innen im Alter von 27 bis 49 Jahren entwickelt. Dass die gezeigte Performance 2024 mehr ist als eine Wiederaufnahme, liegt an der diesmal deutlich älteren Besetzung der Neu-Inszenierung: Die Akteur*innen sind zwischen 60 und 87 Jahren alt.
Obwohl sich die Aufführung thematisch an die Vorgängerversion anlehnt, werden Blickrichtungen geändert, neue Fragen aufgeworfen. Beispielsweise durch die Sicht auf das Älterwerden, das auch in der freien Kunstszene ein schwieriges Thema ist. Wie altert es dort, wo man gern als „jung und innovativ“ angesehen wird? Wie lassen sich künstlerische Arbeiten verwirklichen in einer Zeit, in der Anti-Aging als Werbeslogan funktioniert und Verjüngungsforschung allerorten Zulauf findet? Mit solchen Gedanken sieht man sich an diesem Nachmittag mehr beiläufig als offensiv konfrontiert, dennoch sind sie präsent.
Warten auf etwas, das nicht kommt
Entlang der im Programmheft abgedruckten Straßennamen und Plätze bahnt sich das Publikum den Weg – auf der Suche nach Begegnungen, nach dem Außergewöhnlichen im Alltäglichen. Die Inszenierung überlässt nichts dem Zufall. Realitäten prallen aufeinander, inszenierte Szenen verschwimmen mit dem ‚normalen’ Stadtbild: Hier verwächst eine Person in einem gestreiften Kleid mit einem Straßenpoller, ihr Gesicht verschwindet in den Streifen. An der nächsten Straßenecke ist ein Performer im Anzug an ein Straßenschild gelehnt. Die Anzugjacke ummantelt ihn und das Schild. Der Mann steht still, bewegt sich minimal, die Hände in den Hosentaschen, als warte er auf etwas, das nicht kommt.
Ein paar Meter entfernt verschmilzt eine zierliche Frau mit einem Parkautomaten: Ihr grüner Pullover ist über das Gerät gestülpt. Fließende Bewegungen lassen immer neue Assoziationen entstehen: Der Automat wird umarmt, gewärmt, sie wirkt daneben fragil anrührend und besonders menschlich im Kleid der Zeit, im Verhältnis von Mensch und Maschine. Eine andere Performerin mit kurzen grauen Haaren im legeren Business-Outfit entwirft – weiter in Richtung Breite Straße – mit konzentrierter Miene ein Konstrukt aus zusammengeknoteten Büstenhaltern. Entschlossen und konzentriert in ihren Bewegungen trotzt sie der Absurdität des Gesamtbilds.
Irritation, Unverständnis und ein Selfie
Die beiden Choreograf*innen Hiesl und Kaiser erzählen inmitten der City Geschichten, teilen Erfahrungen ohne Worte. Passant*innen werfen kurze Blicke auf die Szenen. Unverständnis spiegelt sich oft in den Gesichtern wider, nicht selten Missbilligung. Einige bleiben stehen, zücken ihre Handys und halten den Moment fest. Jugendliche laufen kichernd vorbei. Irritiert, neugierig. Eine junge Frau macht ein Selfie mit einer Performerin im Hintergrund. Jugend trifft auf Alter. Digitaler Alltag trifft auf analoge Kunst. Irgendwann passiert nichts mehr. Die 10 Performer*innen tauchen ab und unter im bunten Treiben des Alltäglichen und verschwinden im Stimmengewirr eines gewöhnlichen Samstagnachmittags.
Weitere Aufführungen am 15. und 22. Juni.2024 um 15 Uhr
Dieser Text entstand im Rahmen des Projekts „Bewegungsmelder – Nachwuchswerkstatt für Tanzjournalismus aus NRW“, einer Kooperation von tanznetz mit dem Masterstudiengang Tanzwissenschaft des Zentrums für Zeitgenössischen Tanz (ZZT) an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und dem nrw landesbuero tanz.
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