„Reparation Nation“ von Jessica Nupen

„It’s time to repair“

Jessica Nupen mit „Reparation Nation“ auf Kampnagel

Mit diesem Stück beteiligt sich die Südafrikanerin an der heiklen Debatte über die Aneignung bzw. Rückgabe von Gegenständen in der Kolonialzeit.

Hamburg, 04/10/2024

Es ist eine Frage, die nicht nur Kulturschaffende bewegt, sondern die Gesellschaft ganz allgemein: Was passiert mit den Kunst- und Haushaltsobjekten, mit den Waffen, Schmuckstücken und Artefakten, die in der Kolonialzeit aus Ländern des afrikanischen Kontinents nach Deutschland kamen? Zu Tausenden liegen und stehen sie in den Kellern der Museen, nur ein Bruchteil davon wird im Rahmen von Ausstellungen gezeigt. Ob sie geschenkt, gekauft oder gestohlen wurden, lässt sich im Nachhinein oft nicht mehr ermitteln.

Jetzt hat sich die südafrikanische Tänzerin und Choreografin Jessica Nupen (37) dieses Themas angenommen und eine 75-minütige Performance dazu kreiert. Sie, die in Johannesburg aufgewachsen ist und mittlerweile mit ihren beiden kleinen Kindern in Hamburg lebt, recherchierte zusammen mit der deutschen Dramaturgin Maria Isabel Hagen in den vergangenen fünf Jahren zu diesem Thema, vor allem in Senegal, Namibia und Südafrika. Die Fragestellung war: Welche Lücke haben diese Gegenstände, die ihrem natürlichen Kontext entrissen wurden, hinterlassen? Wie hat sich das auf das künstlerische Schaffen auf dem afrikanischen Kontinent ausgewirkt? Wie gehen wir hierzulande mit diesem Erbe um? Welche künstlerischen Antworten lassen sich auf die vielen offenen Fragen finden?

Rituale und Bürokratie

Das Ergebnis ist eine sehr lebendige und bunte Performance von jeweils drei afrikanischen Frauen und Männern (Baidy Ba, Amadou Diop, Dieyaba Ndoye, Mady Estelle Menguoloune Toupka, Oupa Sibeko). Sie beginnt mit dem rituellen Tanz eines als Stier kostümierten Mannes in einem auf dem Boden ausgestreuten Kreis aus Korkschnipseln. Eine Sopranistin (Caroline Nkwe) singt dazu ein afrikanisches Klagelied. An die Wand der K1 auf Kampnagel werden Fragen projiziert. Fragen, die sich stellen, wenn man über das Thema von Restitution und Reparation nachdenkt, formuliert aus der Sicht der Objekte: Wer besitzt uns? Wovor habt Ihr Angst? Wo ist die Gerechtigkeit? Wo sind die, die uns hierhergebracht haben?

Weitere rituelle Tänze folgen. Ein Netz mit Kalebassen wird auf dem Boden ausgeschüttet. Die Tänzer*innen tragen Alltagsgegenstände aus Plastik auf dem Kopf – Siebe, Eimer, Teekessel. Währenddessen werden Fotos an die Wände projiziert, die unzählige Kunst- und Alltagsgegenstände in Museumregalen zeigen, achtlos durcheinandergestapelt. Die Botschaft ist klar ...

Ein Mann in Lederhosen spricht das Publikum direkt an, er schildert seinen Weg durch den Dschungel der deutschen Bürokratie, die seinen freundlichen Worten mit grellen Trompetenstößen antwortet (für die Musikproduktion und diese Trompeteneinlage zeichnet Sasha Perera verantwortlich), und der doch nicht aufgibt.

Rehumanisierung der Restitutionsdebatten

„Wir wollen die Debatte über Restitution und kulturelle Aneignung, die so polarisiert ist, rehumanisieren“, sagt Jessica Nupen im Vorgespräch zu dieser Aufführung. „Es geht um Menschen, um menschliche Geschichten, um Spiritualität. Wir gehen der Frage nach, wie wir uns fühlen, wenn uns etwas weggenommen wird, wenn uns etwas fehlt. Wie können wir uns mit dieser Lücke weiterentwickeln? Es geht um den Austausch zwischen dem Globalen Süden und dem Westen. Wir bringen die deutsche Kultur zusammen mit der afrikanischen, mit ihren Dämonen und Ritualen, ihrer Spiritualität, und wir diskutieren das auf künstlerische Art und Weise.“

So gipfelt das Ganze schließlich in der Frage: Was wäre, wenn man den Deutschen etwas wegnähme, was zu ihrer angestammten Tradition gehört? Das Ritual von Kaffee und Kuchen am Nachmittag zum Beispiel mit dem, was weltweit dafür steht: Schwarzwälder Kirschtorte! Es sind amüsante Wendungen wie diese, die das Stück so eindringlich machen. Es ist keine aggressive Anklage, sondern ein intelligent zusammengestelltes Nachdenken über Erinnerung und Erinnerungskultur, über Vergangenheit und Zukunft, bei dem auf spielerische Weise ein bleibender Aha-Effekt entsteht. Vor allem, wenn ganz zum Schluss, wenn das Publikum zu einer fröhlichen Sause auf die Bühne gebeten wird, keine Fragen mehr, sondern Aufforderungen auf die Wände projiziert werden: „Now it’s time to repair, recover, reclaim, review, restore, reveal, revalue, return, redeem, remedy, rectify, reinstitute, replenish, repatriate, replace, reassert ...“

 

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