Vexierspiel
Ein Fotoblog von Dieter Hartwig
Akram Khans Solo „Chotto Desh“ eröffnet im Berliner Hebbel am Ufer das PURPLE-Festival
Akram Khan ist ein Menschenfreund. Seinen fusions aus contemporary style und Einflüssen des indischen Kathak liegt das Publikum seit Jahren zu Füßen, weil seine Arbeiten neben dem künstlerischen Ansatz deutlich mit universeller Wärme berühren. Zur Eröffnung des diesjährigen Internationalen Tanzfestivals für junges Publikum in Berlin war das nicht anders.
Zum Leidwesen aller, die im Publikum ungeduldig mit den Füßen wackelten, verzögerte sich allerdings der Beginn der Vorstellung durch die obligatorischen Grußworte und Reden. Dass Canan Erek, Künstlerische Leiterin und Kuratorin des Festivals, in ihrer Ansprache die Jüngsten im Publikum mit den Worten zu vertrösten versuchte, das sei nun mal bei einer solchen Veranstaltung so und sie bitte um etwas Geduld, hat mit Sicherheit niemandem geholfen. Ganz im Gegenteil. Damit sprach sie die eigentliche Zielgruppe nicht an, sondern klammerte sie vielmehr aus. Sei’s drum. Immerhin hatte Annemie Vanackere, Intendantin des HAU, zuvor angemerkt: „Wir werden euch brauchen!“ Und damit hat sie, nicht nur mit Blick auf aktuelle politische Entwicklungen, alle gemeint.
Probleme mit dem Passwort
Die große Bühne des HAU 1 gehörte dann doch endlich ganz allein Jasper Narvaez der in schlichter dunkler Hose und hellem Oberteil vor einer diffus in dunklen Farbtönen gemusterten Rückwand erst mal Probleme mit seinem Handy hat. Sein Passwort hat er vergessen, um die Einstellungen seines Kalenders und ... So wichtig sind die Details eigentlich gar nicht, aber es ist halt richtig unschön, wenn die Technik streikt und man mitten im Verkehrschaos Berlins steckt und sich dort überhaupt nicht auskennt. Da fühlt man sich eben hoffnungslos verloren.
Reise zurück an den Anfang
Skurril wird es, als sich die helfende Telefon-Stimme vom Support als kleiner Junge entpuppt, der in Bangladesch sitzt. Und plötzlich ist er da, der Trigger, der eine gedankliche Reise auslöst, eine Reise zurück an den Anfang der eigentlichen Geschichte, nämlich der Geschichte des Tänzers Akram Khan selbst. Und diese erzählt Narvaez mit einfachsten Mitteln. Je mehr er sich mimisch durch ein imaginäres und akustisch buntes Gewusel im Straßenverkehr zu kämpfen versucht, desto stärker wird der Eindruck: Das ist gar nicht mehr Berlin. In Bangladesch sitzt er jetzt selbst, in dem Land, aus dem seine Eltern stammen. Und es ist sein Vater, der sich angesichts des beständigen Umherhüpfens Akram Khans in jungen Jahren die Haare rauft.
Er muss sich einfach bewegen
Den Vater selbst holt Narvaez auf die Bühne, indem er sich die Oberseite seines rasierten Kopfes mit einem Gesicht bemalt. Eine einfache Neigung des Kopfes nach vorn reicht deshalb aus, mit verblüffender Wirkung den „kleinen Mann“ auftreten zu lassen, der in seinem Dorf als Koch mehr als 200 Nachbarn versorgt. Dabei mischt Narvaez beständig Pantomime mit akrobatischen Elementen. So gesehen findet sich der Drang zur Bewegung eigentlich doch schon im Vater. Da kann der Sohn ja nicht anders.
Er tänzelt albern und so spielerisch wie verspielt um einen kleinen weißen Stuhl herum, auf dem er, den strengen Worten des Vaters gemäß, eigentlich Platz nehmen soll. Viel eingesprochener Text in Englisch begleitet die Inszenierung, in weiten Teilen auch mit entsprechendem Akzent der Eltern. Die Reaktionen vieler Kinder und Jugendlicher nach der Veranstaltung haben gezeigt, dass es das Verständnis des Textes nicht braucht, um der Geschichte folgen zu können. Das liegt auch an einer leicht lesbaren Bildsprache, besonders in einer Szene, in der Narvaez im Zusammenspiel mit einer animierten Animation agiert.
Entdecken der Möglichkeiten
Der Junge wächst heran und findet sich in London wieder, wohin seine Eltern ausgewandert sind, in seinem eigenen Zimmer, in dem er unterschiedliche Tanzstile ausprobiert und das Tanzen immer weiter für sich entdeckt, nicht unbedingt zum Wohlwollen des Vaters. Schließlich aber, wenn sich die chaotische Straßenszene wiederholt, wird deutlich, dass der kleine Junge gar nicht mehr so klein ist und sich inzwischen deutlich besser selbst durch den Verkehr zu manövrieren versteht. Selbstredend geht das nicht ohne die Überwindung innerer Konflikte.
Damit knüpft Akram Khan an die Allgemeingültigkeit seiner bisherigen Arbeiten an, an das grundsätzlich Menschliche, das in seinem Fall ganz unvermittelt das Publikum erreicht. Hier ist es das Bild der Freude an der Bewegung, mit dem er geradezu Mut macht, die eigenen Stärken zu entdecken. Und das ist immer eine gute Idee, egal, in welchem Alter.
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