Neues Tanzfestival in Hannover
Melanie Zimmermann übernimmt künstlerische Leitung
Wer Zimmermanns Arbeiten kennt, kennt seine spektakulären, überraschenden und humorvollen Installationen und Inszenierungen, basierend auf Akrobatik, Tanz und Humor. Viele seiner bisherigen Arbeiten sind geprägt von tiefgründigen Auseinandersetzungen mit Leben und Tod, Erotik und Absurdität und Humor. Eine Art Zirkus, die das Publikum in Atem hält. Von alledem ist im neuen Stück „Louise“ etwas zu entdecken, aber nicht in der bekannten Verspieltheit und Konsequenz. Und es gibt wenig zu lachen.
Die vier Performerinnen Bérengère Bodin, Marianna de Sanctis, Rosalba Torres Guerrero und Mathinee Wongtrakoon sollen alle eine Art Louise sein, der großartigen Künstlerin Louise Bourgeois (1911–2010) nachempfunden. Sie tragen das Stück in weiten Teilen. Sie performen mit vollem Körpereinsatz, im wahrsten Sinne des Wortes mit Haut und Haaren. Sie alle haben auf renommierten Bühnen gearbeitet und sind gut gewählte Persönlichkeiten, die dem Stück den nötigen Drive geben.
Da ist die kleine Akrobatin, die auch mal in eine Einkaufstüte passt und auf einer vermeintlich freistehenden Leiter Kunsttücke vollbringt, als stände sie auf dem festen Boden, dann die schlanke, feingliedrige Kapitänin, mit ihren schlaksigen Bewegungen und herausfordernden Blicken, die auch mal spricht und singt und kreischt. Ein dritte mit herrischem Auftreten trägt graue Perücke und ausgestopfte Hosen, die an eine Puppe erinnern, oder als vierte die langhaarige Sängerin und Hula-Hoop-Artistin, die zum Schluss mit ihrer Gesangsparodie endlich mal zum Lachen reizt. Sie alle sollen Louise sein und keine ist es wirklich.
Puppenhaft, wild und exzentrisch
Eine der bekanntesten Werke von Louise Bourgeois ist die Spinne „Maman“ (1999), die größte, über neun Meter hohe Plastik aus ihrer Spinnenserie: Maman als bedrohliche aber alles beschützende Mutter. Bourgeois, die schon früh mit Installationen begann und mit ihren bizarren, erotischen und kämpferischen Objekten erst spät in ihrem Leben die Kunstwelt aufmischte, verpackte in ihren Werken Angst, Schmerz und Wut. Bekannt sind sie für ihre Stofflichkeit, von Stein bis zu weichen, ausgestopften Puppenformen. In der Materialität schimmert ein leichter Bezug durch: Die Tänzerinnen in ihren Kostümen erscheinen puppenhaft. Zum Schluss kommt eine fünfte, lebensgroße Puppe dazu.
Zimmermanns Louisen sind weder bedrohlich noch beschützend, sie sind wild und exzentrisch – und laut: Auffallend ist diesmal der Einsatz von Stimmen, mit schrillem Schreien versuchen sie, ihr Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Die Lautstärke wird noch unterstrichen durch die dumpfen, hämmernden Beats aus der Elektronik-Küche und die geradezu quälende Akustik (Musikkomposition: Tobias Preisig). Mit Wehmut denkt man an die früheren Werke aus den Nullerjahren mit der poesievollen, stimmungsvollen Musik und kreativen Klangkulisse von Dimitri de Perrot, mit dem Zimmermann jahrelang zusammenarbeitete.
Objekte mit Eigenleben
Das geheimnisvolle Verschieben von Bühnenbildern und Öffnen von Türen und Fenstern, in denen die Frauen abwechslungsweise auftauchen und wieder verschwinden, gehören zum Repertoire des Künstlers. Alles funktioniert akribisch genau. Zimmermann ist bekannt für seine Vexierspiele, seine bizarren Welten und Objekte, denen er ein Eigenleben verschafft, wie etwa Treppen, die plötzlich zu Rutschbahnen werden oder ein Bühnenbild mit vielen Zwischenräumen. Diesmal kreierte er drei Drehscheiben, die im Bühnenboden praktisch unsichtbar eingelassen sind, auf denen sich die Performerinnen balancierend im Kreis drehen lassen.
Gemäß Programm soll es um Tyrannei und Widerstand gehen, die Bühne ein Ort sein, wo „die Tyrannei regiert, wo sich Körper, Geist und Seele auflehnen und Widerstand leisten“. Davon und von den Themen wie Macht oder Unterwerfung ist kaum etwas zu spüren, außer, dass die Tänzer*innen mal nett und mal dominant erscheinen. Manchmal tut es besser, die Programmangaben nicht zu genau zu lesen.
Viel Tanz und ständige Bewegung
Das zirzensische Schaffen von Zimmermann ist nach wie vor vorhanden, etwa bei dem Spiel mit der lebensgroßen Puppe, den Hula-Hoop-Reifen und den Vervielfachungen der Performerinnen durch Spiegel. Zimmermann ist nach wie vor ein Alleskönner auf hohem, professionellem Niveau, er ist Choreograf, Performer, Bühnenbildner, Clown, Akrobat. In „Louise“ wird viel getanzt, alles ist in ständiger Bewegung, diesmal hat er einen Tänzer für die künstlerische Mitarbeit zugezogen.
Man glaubt Zimmermann, wenn er sagt, Im Zentrum seiner Arbeit stünden die Menschen, die er im Alltag aufmerksam beobachte, die Liebe zum Zirkus und zum Theater. „Louise“ ist ein ambitiöser Abend eines mehrfach ausgezeichneten und preisgekrönten Schweizer Künstlers, der im kleinen Dorf Wildberg im Kanton Zürich aufwuchs und schon als Kind zum Zirkus wollte, ein Werk für eine großartige Künstlerin und das Leben an sich. Diesmal etwas flacher, weniger lustig, vielleicht ist es ein Wendepunkt im jahrzehntelangen Schaffen von Martin Zimmermann.
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