Ein riesengroßes Schaufenster
Eindrücke von der 12. Auflage der Tanzplattform Deutschland in Frankfurt
Innerhalb weniger Tage sind sie gestorben: Heiner Schunke am 7. Mai, Claus Schulz genau eine Woche später. Beide entstammen der DDR. Beide haben dort Karriere gemacht. Und beide wechselten unter abenteuerlichen Umständen in die Bundesrepublik – was im Nachhinein erklären könnte, warum kaum eine Zeitung von ihrem Ableben Notiz genommen hat. Man hat die beiden, so der Eindruck, so gut wie vergessen. In Ost und in West.
An die Spitze: Claus Schulz
Zumindest im Fall von Claus Schulz ist das mehr als verwunderlich. Schließlich war der „Meistertänzer“, als welcher er sich ganz offiziell hatte nennen dürfen, seinerzeit so etwas wie ein Star, populär wie kein anderer Tänzer in der DDR. Als Hans Dampf in allen Theater-Gassen, gelingt ihm sogar das Kunststück, am „Internationalen Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus“ als einziger omnipräsent zu sein in Ostberlin – im Stundentakt herumkutschiert von einer Veranstaltung zur anderen. Seinen „Schalacho“ aus Lilo Grubers „Gayaneh“-Ballett wollen eben alle sehen im Arbeiter- und Bauernstaat: ein wahres Schau-Stück, virtuos wie kaum ein anderes und dennoch volkstümlich genug, um selbst einen Politiker wie Walter Ulbrich zu beeindrucken.
Denn bei aller Sprung- und Sprengkraft hat sein Tanz immer etwas Bodenständiges. Mag sein, dass das mit seiner Herkunft zusammenhängt; Claus Schulz entstammt eher ärmlichen, nie ganz geklärten Familienverhältnissen. 1934 in Rostock geboren, findet er mit 15 Jahren in Schwerin dennoch zum Ballett und hat dort das unglaubliche Glück, auf eine so unkonventionelle Choreografin wie Grita Krätke zu treffen. Sie erkennt ein eigenwilliges, noch ungehobeltes Talent, das es nur noch zu bändigen und zu verfeinern gilt. Schulz zieht mit ihr nach Berlin, diszipliniert sich in ihrem Unterricht wie bei Koryphäen wie Gustav Blank, Tatjana Gsovsky und Sabine Ress. Und das mit Erfolg, wie man sich vorstellen kann. Binnen kurzer Zeit kämpft er sich an der Komischen Oper aus der Gruppe an die Spitze.
Von der lässt er sich auch nicht mehr verdrängen, als er 1955 an die Lindenoper wechselt. Obwohl von seiner Körperstatur her nicht unbedingt für die Prinzenrollen prädestiniert, tanzt er auch die. Aber seine eigentliche Darstellungsdomäne sind die Narren, die Außenseiter, die vom Schicksal weniger Begünstigten. Die verkörpert er in Balletten, die ihm vor allem Lilo Gruber und Grita Krätke in Balletten wie „Gayaneh“ oder „Petruschka“ auf den Leib choreografieren. Daneben ist er so oft wie möglich im Friedrichstadtpalast zugange. Und auch im Film und Fernsehen gibt er sich gerne „feuerwerksgleich“ als „Freudenbringer“, wie das Klaus Geitel einmal so unnachahmlich formuliert hat.
1972 ist Schluss. Inzwischen Ballettdirektor der Lindenoper, ahnt Schulz, dass ihm nach einem Bühnenabschied nicht mehr lange die gewohnte, geradezu exzessiv ausgelebte Narrenfreiheit bleibt. Er plant die Flucht. Obwohl rund um die Uhr von der Staatssicherheit beschattet, gelingt ihm 1972 bei einem Paris-Gastspiel nicht nur der Absprung in den Westen. Er schafft es auch, sich dort neu zu erfinden: In der Modebranche tätig, entwirft er Kleider für Normalos und hat damit soviel Erfolg wie zuvor.
Auf internationalem Boden: Heiner Schunke
Verglichen mit seiner Karriere verläuft die von Heiner Schunke weniger spektakulär, dafür aber auf internationalem Boden. Vier Jahre jünger als Schulz, erblickt Schunke am anderen Ende der DDR, in Freyburg/Unstrut, das Licht der Welt. Was ihn mit vierzehn Jahren ausgerechnet an die Staatliche Fachschule für künstlerischen Tanz, der damaligen Staatlichen Ballettschule führt, liegt dagegen im Dunkeln. Bekannt ist dagegen, wer ihn unterrichtet: Marianne Vogelsang und Eva Winkler (Modern), Michael Piel und Jochen Scheibe (Klassisch). Bekannt ist auch, mit wem er die Klasse teilt: Hermann Rudolph, Jürgen Schneider und Manfred Schnelle, ein Kreativpool, der es in sich hat: Denn jeder der Genannten macht später seinen Weg, wenn auch in unterschiedlichen Richtungen. Nach dem Debüt als Eulenspiegel in der „Flandrischen Ballade“ von Vogelsang führt ihn seine Karriere im Jahre 1956 erst einmal zu Tom Schilling, der damals noch nicht das Tanztheater der Komischen Oper, sondern das Ballett der Staatsoper Dresden leitet.
Zwei Jahre später zieht er weiter – und zwar auf abenteuerliche Weise in den Westen und da erst einmal zu Erich Walter nach Wuppertal. Dem kommt der „Ästhet“ (wie ihn Eva Winkler nennt) wie gerufen; viel versprechend und noch mehr haltend setzt er ihn als Partner von Helga Held und Hella Troester in seinen Kreationen ein. Doch 1960 stellt er sich in Paris neuen Herausforderungen. Schunke schärft sein klassisches Profil bei Nora Kiss im Studio Wacker und beeindruckt als Partner so prominenter Ballerinen wie Tessa Beaumont, Maina Gielgud und Lycette Darsonval die halbe Welt. Zwischenzeitlich lockt ihn noch einmal ein festes Engagement, erst in Münster, dann vor allem bei Gise Furtwängler in Köln, die für und mit ihm „‘adame miroir“, „Feuervogel“ und „Daphnis und Chloe“ erarbeitet. Ab 1969 lässt er sich nicht mehr binden, gastiert viel als Tänzer und choreografiert unendlich viel für seine Düsseldorfer Ballettschule wie für Theaterproduktionen am Schauspielhaus Bochum.
Erst zur Jahrtausendwende zieht er sich aus der aktiven Bühnenkarriere zurück – und geht in den Westen Frankreichs. Dort ist er, wie gesagt, am 7. Mai im Frieden mit sich selbst und im Kreis seiner Familie sanft entschlafen.
Bildmaterial aus der Sammlung des Deutschen Tanzarchivs Köln
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