Peter Appel wird 85
Sabrina Sadowska und tanznetz.de gratulieren herzlich!
Ein Nachruf von Sabrina Sadowska auf ihren langjährigen Mentor und Freund Peter Appel
Vor einem Jahr erhielt er endlich den schon lange fälligen Deutschen Tanzpreis für sein Lebenswerk, für seine schöpferische Leistung und sein pädagogisches Wirken, welche in besonderer Weise die Ballett- und Tanzszene in Deutschland beeinflusst haben, und bis heute auf Ausbildung und künstlerische Arbeit im Tanz wirken. Peter Appel geboren als Kosmopolit 1933 im fernen Java auf einem Landgut auf den Hügeln von Surabaya erhielt eine europäische Erziehung zu Hause, beim Spielen draußen prägte ihn die indonesische Kultur. Es folgte die japanische Besetzung ab 1942 und Ende des zweiten Weltkrieges geriet die Familie zwischen die Fronten des Völkerhasses. Ein tiefschneidendes Erlebnis, das ihn ein Leben lang geprägt hat.
Fast sinnbildlich für die nächsten Jahre war die weite Reise vom tropischen Klima in die herbstlich kalten Niederlande 1947. Europa war am Ende des Zweiten Weltkrieges ausgeblutet und am Ende seiner Kräfte. Ein angeschlagenes Europa, das nicht ausreichend darauf vorbereitet war, Millionen von Menschen aufzunehmen, die während oder am Ende des Konflikts vertrieben wurden.
Die sogenannte Naturalisierung der vier Geschwister hatte zur Folge, dass sie von einer Pflegefamilie zur nächsten und von einer Schule zur nächsten wechseln mussten. Zurück blieb ein ungestillter Durst nach Wissen. Lesen, Reisen und Musik blieben Peter Appel ein lebenslanger Antrieb und Passion. Wogegen seine Schwester - sie verstarb vergangenes Jahr - immer wieder etwas Neues begann. Unter anderem auch Ballett. Nur einfach Zuschauen war ihm nicht vergönnt, schon holte die Lehrerin ihn an die Stange. Schnell kam der Entschluss, die neue Passion zum Beruf zu machen. Und niemand anders als sein Pate, der berühmte Tänzer José Luis de Udaeta übernahm die Fürsprache bei seinen Eltern.
Bald entdeckte ihn Sonia Gaskell. Auch sie eine Vertriebene, die in den zwanziger Jahren den russischen Progromen sowie später in Holland der Naziverfolgung entkommen war. Sie sieht ihn bei einer Schülervorstellung – zum ersten Mal als Prinz in Dornröschen. Die Einladung zur Audition kam postwendend am nächsten Tag. Ihre Worte: Du kannst nichts, aber du wirst!
Und so kam eins aufs andere. Die erste Anstellung als Aspirant beim Nederlands Ballet, der Aufstieg zum Solisten. Die Chance bei der Gedenkfeier zu Anna Pavlova in Den Haag als Albrecht mit Joan Cadzow im Grand Pas de Deux von Giselle zu debütieren.
Albrecht, war eine prägende Rolle für ihn. Sein Gespür für die sensible Psychologie der Rollenführung über die ganze Spannweite vom blauäugigen Jüngling im ersten Akt, zum erkennenden und erwachsenen jungen Mann am Ende des zweiten Akt. Hier zeigte sich schon früh seine Haltung, herkömmliche Interpretationen zu hinterfragen und anders zu deuten. Albrecht stirbt nicht, sondern lebt gereift weiter.
Aus dem Nederlands Ballet wurde 1961 das Het National Ballet mit 89 Tänzer und Tänzerinnen. Plötzlich war die Kompanie so groß, dass man als Solist, das Corps de Ballet nicht mehr kannte, sich entfremdete. Und so war es an der Zeit zu weiterzuziehen. Irène Skorik wurde seine Partnerin. Die große Ballerina, die er einst in Haarlem als erste Ballerina auf Spitze bewundert hatte. Sie empfahl ihn nach Basel und Ballettdirektor Vaslav Orlikowski zeigte Interesse dort an ihm. Ganz abenteuerlich fuhr ihn der junge Dirigent André Presser in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Basel. Ein Vortanzen nach der Vorstellung Die steinerne Blume und eine abenteuerliche Autofahrt zurück zur Matinee nach Amsterdam.
In Basel machte er aus der Not eine Tugend. Das Training genügte ihm als Solist nicht, so dass er die Trainingsleitung übernahm. Zurecht. Schnell zählte das Basler Stadttheater Ballett zu den besttrainierten Kompanien im deutschsprachigen Raum.
Peter Appel hatte hier im Unterrichten seine Berufung gefunden. Weitere Stationen wurden Hamburg bei Peter Van Dyck und Köln bei Gise Furtwängler. Die Erkenntnis, dass das Heil des Balletts in einer Qualifizierung der technischen Ausbildung der Tänzer und Tänzerinnen – und in einer pädagogischen Kontinuität, die nicht in Zeiträumen von zwei oder drei Jahren, sondern von Jahrzehnten denkt, lenkte fortan sein Tun und Handeln. Ohne Technik keine Kunst. Der Mangel an Technik im Deutschland der 60er Jahre war für ihn die Wurzel alles Übels im hiesigen Ballett. Er bemängelte die fehlende Ausbildung für Tanzpädagog*innen und den zumeist dilettantischen Unterricht an privaten Schulen. Er plädierte für das Vaganova System, aber! natürlich mit Anpassung an das, was an den Theatern verlangt wird. Das lief etwa auf das hinaus, was an Balanchines Ballet School in New York gelehrt wurde, die dynamische Version des Vaganova-Systems. Nicht nur das, schon damals forderte er, dass neben der klassisch akademischen Ausbildung auch eine moderne unerlässlich sei. Daher war er der erste der in Deutschland eine Tanzpädagogikausbildung anbot.
Über allem steht der Mensch - und hier sein Postulat der Völkerverständigung – der Mensch mit offenen Augen, der Interesse und Neugier zeigt, nicht die gedrillte Maschine. Seine Kritik an der Ballettarbeit an den deutschen Theatern: fehlende Kontinuität. Und wir reden von 1967!
Zehn Jahre prägte Appel als Leiter das Institut für Bühnentanz in Köln. Unterrichten war sein Element, Direktor-Sein weniger, wie er letzthin noch sagte. Er hatte drei Jahre als Ballettdirektor in Köln, in der turbulenten Zeit nach 1968. 1971 kam zum Stabwechsel und zur Gründung des Kölner Tanzforums.
Was wäre der Tanz im Nachkriegsdeutschland ohne die Internationale Sommerakademie in Köln gewesen? Seit 1957 war sie ein Mekka der Tanzkunst in der jungen BRD. Hier traf der klassisch akademische Tanz auf die Neoklassik, das Erbe des Neuen Deutschen Tanzes auf die amerikanischen Strömungen des Modern Dance. Und mittendrin Peter Appel. 30 Jahre lang gab er jungen Tänzer*innen neue Impulse, half größere Zusammenhänge zu sehen, Technik ganz in Tanz und Kunst zu weben. Er baute Brücken, verband Tanzschaffende diesseits und jenseits der Mauer wie kein anderer seiner Generation. Bei ihm wurden keine Persönlichkeiten gebrochen! Er war damit seiner Zeit einen großen Schritt voraus. Sein Credo lautete: „Wir haben das Rüstzeug, Aufrichtigkeit und innere Haltung für den Tänzer innerhalb des Beruf wie auch fürs Leben zu erhalten“.
Und natürlich keine Stunde bei Peter Appel ohne George Balanchine, Mister B: schon als Aspirant kam er mit seinem Werk in Berührung, ihn persönlich traf er in Berlin, Köln und Zürich. Er hat nie vergessen, wie Balanchine zu ihm sagte: „nicht böse sein, wenn sie es nicht können, du musst sie dahin bringen“ - das und weitere Anmerkungen haben sein Leben verändert.
John Neumeier holte ihn 1976 nach Hamburg unter anderem zum Aufbau der Hamburger Ballettschule. Wie einst Sonia Gaskell hatte auch er ein Auge für Talente so z.B. Stefanie Arndt. Sein Einsatz war unermüdlich. Früh die Arbeit mit der Kompanie, nachmittags die Schule, abends weiter mit der Kompanie. Und John Neumeier meinte: unglaublich wie er die Kompanie zusammenhält.
Heinz Spoerli holte ihn 1979 zurück nach Basel und half das Basler Ballett zu Weltruhm zu führen. 25 Jahre durch Hoch und Tief, in Basel, Düsseldorf und Zürich. Das war Kontinuität. Und er hatte Zeit Generationen von Tänzer*innen zu begleiten, wie z.B. Martin Schläpfer, Sylviane Bayard, Simona Noja, Ilja Louwen und viele mehr zu fördern und prägen.
Seinen erfüllten Lebensabend verbrachte er in Rebstein, im St. Gallischen Rheintal, nahe des Bodensees. Seine Passion zu lesen, Musik zu hören und sich mit tagesaktuellen Themen auseinanderzusetzen, mit seinen Nachbarn zu plaudern und über das Leben zu philosophieren blieb ihm bis zuletzt erhalten.
Nun ist er ist letzten Donnerstag in seiner Wahlheimat, der Schweiz von uns gegangen. Ohne ihn hätte ich die ersten Jahre am Theater nicht überlebt. Die psychischen wie physischen Verletzungen, denen man jeden Tag im Theateralltag ausgesetzt war, konnte nur ein Mensch wie Peter Appel ‚heilen‘.
Es bleibt die tiefe Verneigung und der Dank für das Lebenswerk, sein Wissen an die nächste Generation weiterzugeben, die Erinnerung lebendig zu halten mit seinem Lachen als ein nichtversiegender Quell an Freude und Inspiration für den Menschen. Ich wünsche Dir gute Reise, lieber Peter. Du wirst uns fehlen!
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