Den Tanz hören
„Moving Out Loud“ von Britt Hatzius im EinTanzHaus Mannheim
Kompanie Overhead Project mit „Greenroom“ im Mannheimer EinTanzhaus
Mit der Neujustierung des Verhältnisses von zeitgenössischem Zirkus und Tanz kennt er sich aus: Tim Behren, Mitbegründer der sehr speziellen Akrobatik-Truppe „Overhead Project“, mit der er das CircusDanceFestival ins Leben gerufen hat. Längst ist die Kompanie auch dafür bekannt, frischen akrobatischen Wind in städtische Tanzensembles zu pusten (so auch in Heidelberg im früheren Ensemble von Nanine Linning). Das einstige Akrobatik-Duo hat sich inzwischen zu einer multidisziplinären Truppe entwickelt, die Körperarbeit für einen verblüffenden Dialog mit dem Publikum zu nutzen weiß. Beim Gastspiel „Greenroom“ im Mannheimer EinTanzhaus kamen Raum und Architektur als prägende Themen für die Theaterarbeit dazu.
Erinnerung an den ersten Zirkusbesuch
„Seid ihr drei Jahre alt?“, schimpft Darstellerin Charlotte Doucousso in ihrer Muttersprache Französisch entrüstet mit dem Publikum, das sie eben noch – in eine glänzende Ritterinnen-Rüstung gehüllt – nonverbal eingeladen hatte, ihr Holzbausteine in einen improvisierten Bauchladen zu werfen. Nicht wenige der Geschosse trafen die Performerin selbst – ein Kollateralschaden, der ganz ohne Skrupel billigend in Kauf genommen wurde. Tatsächlich durfte man sich in „Greenroom“ auf der Bühne des Mannheimer EinTanzhauses zurückversetzt fühlen in das eigene Alter des allersten Zirkusbesuchs. Artig stecken Besucherinnen und Besucher dafür Sitzpodeste im Teamwork zusammen oder falten Sitzhocker aus Pappe auf. So entsteht wie von selbst eine Manege unter der aus Traversen errichteten Zirkuskuppel.
Bewunderung und Schrecken
Die Bühne ist ein Abenteuerspielplatz, zurechtgeschnitten für die Wahrnehmung Erwachsener, die sich fast ohne verbale Anweisungen durch diesen raffiniert kalkulierten Abend führen lassen (Choreografie: Tim Behren, Breno Caetano). An den überreichlich vorhandenen, roh zugeschnittenen Bauklötzen, die mit zahlreichen kleinteiligen Aufbauten den Bühnenraum dominieren, darf sich jeder bedienen. Akrobatik-Darsteller Tim Behren spielt gekonnt auf der Klaviatur zwischen Bewunderung und Schrecken, wenn er sich einen Arm mit Hilfe von Latten aller Art grotesk verlängern lässt. Einen Schritt weiter lässt er das Publikum den echten Zirkus lautstark einfordern – und sägt dafür simpel, aber durchaus effektvoll ein Brett durch, auf dem er in luftiger Höhe sitzt.
Der Schwerkraft ein Schnippchen schlagen
„Greenroom“ geht zurück zu den Ursprüngen des Zirkus, zur Lust am Verkleiden, zu einem spielerischen Ausprobieren von Material, Vorerwartung und Physik. Die größte Herausforderung bildet die Frage, wie man – Risikobereitschaft vorausgesetzt – der Schwerkraft das entscheidende Schnippchen schlagen kann. In diesem Zirkus gibt es weder Glitzer noch Glimmer, nicht einmal vorgefertigte Installationen für die einschlägigen Kunststücke. Die Akrobatik-Gerätschaften, deren Möglichkeiten Tim Behren im staunenden Kinder-Modus austestet, entstehen quasi beim Ausprobieren aus einfachen Holzteilen und -abfällen. Dabei funktioniert die raffinierte Dramaturgie dieses Abends bis zuletzt, wenn die Besucher*innen ganz ohne Aufforderung ihre Papphocker wieder zusammenfalten und selbständig aufräumen.
Ein explizites Timing und eine raffinierte Komposition (Simon Bauer) sind Bestandteile dieser Theaterarbeit, die eine ausgiebige, gründliche Recherche voraussetzt. Das EinTanzhaus ist hier mit gutem Beispiel vorangegangenen und hat der Kompanie bereits 2022 eine Residenz vor Ort ermöglicht, bei der die Besinnung auf die Ursprünge des Zirkus ihren Anfang nehmen konnte.
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