„Grit“ von Edan Gorlicki 

Besserer Körper, besseres Selbst

„Grit“ von Edan Gorlicki im Mannheimer Eintanzhaus

Unterhaltsam und eindrucksvoll: Das getriebene Kapital bricht an der Spitze. Und am Ende bleibt der Mensch doch das, was er ist: keine Maschine.

Mannheim, 23/10/2023

Von Nora Abdel Rahman

Ein nicht ganz nüchtern gehaltenes Trainings-Studio zeigt die Bühne im Mannheimer Eintanzhaus. Bildet doch ein Podest im Hintergrund mit Spinning Bike und gerahmt von weißen Neonröhren eine Art Fixpunkt. Davor liegen 18 graue Step-Boards in Reihen und versetzt am weißen Boden. An den Bühnenrändern sind jeweils Handtücher gestapelt und stehen Eimer und unzerbrechliche Sportflaschen. Hier kommt die Farbe Pink ins Spiel, die dem nüchternen Geräte-Arrangement zur körperlichen Ertüchtigung einen aufmunternden oder mehr noch, einen aufreizenden Anstrich verleiht. Aber noch wird dieses Setting verdeckt von einer Gruppe Menschen in Trainingsklamotten mit schwarzen Sporthosen und pinken T-Shirts, auf denen das Wort „Grit“ gedruckt steht. Der Begriff, leicht wie ein Werbe-Slogan, scheint nicht zu beabsichtigen, tiefere Gedankenprozesse auslösen zu wollen: Es geht vielleicht nur um eine Gruppe von Leuten, die in einem dieser Fitness-Studios ihren Sport treiben.

Bald schillernd, bald zerbrechlich

Wer den in Heidelberg ansässigen Choreografen Edan Gorlicki kennt, weiß von den Welten, die seine Stücke bald schillernd, bald zerbrechlich zur Schau tragen. Kennzeichnet die außergewöhnlichen Arbeiten des in Israel geborenen Künstlers doch seine mal mehr, mal weniger abrupt zueinander gesetzten Welten. So handelte etwa sein letztes Stück von den kleinsten Stoffen, den „Molecular Scars“ als den vernarbten Wunden menschlicher Geschichte, deren Ursachen unsichtbar wie ein Trauma unter der Oberfläche liegen. Erneut getriggert, lösen die Vernarbungen Erinnerungen aus. Gorlicki, der seine Kunst als „Inter-Actions“ bezeichnet und seine Werke stets im Team und sowohl mit Fachleuten als auch mit Menschen in Form gesellschaftlicher Teilhabe erarbeitet, geht in „Grit“ der Frage nach künstlerischem Ausdruck versus athletischer Kampfleistung nach. Was wollen wir sehen: Kunst oder Sport – Ausdruck oder Leistung? „Grit“ meint im übertragenen Sinn „Entschlossenheit“ und lässt sich Künstlern wie Sportlern zuschreiben.

Kämpferische Antreiberin

Inzwischen ist die Gruppe von „Grit“-Werbern verschwunden und eine mit Head-Set und Mikro ausgestattete Trainerin begrüßt das Publikum in silbernen Leggings und Schweiß treibendem silbernen Anorak: „Hello Mannheim“. In dieser Rolle glänzt Lauren Rae Mace schillernd überzeugend und nimmt den Raum sofort ein als kämpferische Antreiberin sowie als einflüsternde und manipulierende Anführerin, die mit Sprache und einem an Metaphern reichen Text ihre Klientel einzuspinnen weiß. Das sind drei Performer*innen in einfachen Trainings-Klamotten – blau, grün, grau -, die zunächst scheinbar schlichte Schritte auf und über die Step-Boards vollziehen und ihre Arme dazu in ausgewählter, aber doch genormter Version nach oben in eine Form setzen. Dazu wummern die Beats von DJ Lxdario – live steht er am Pult und heizt dem Szenario und dem Publikum ein. Grandios schwadroniert derweil die Fitness-Predigerin von der Investition ins eigene Selbst – 5 Prozent, 25, 50, 100 Prozent müssen erreicht werden, denn es gibt nur ein Ziel: „Besserer Körper, besseres Selbst“. 

Heimliche Abweichungen

Die drei Performer*innen können unterschiedlicher kaum sein: Mareike Villnow wirkt als Kleinste eher zart, ihre Bewegungssprache aber zugleich leicht wie ein hüpfender Springball; Kyle Patrick erscheint dagegen groß und verleiht seinen Bewegungen einen spielerisch lässigen Kick, während Cecilia Ponteprimo als mittelgroße Figur sich von den anderen durch eine kraftvoll zähe Ausdrucksprache abhebt. Allein diese unterschiedliche Ausstrahlung der Performer*innen macht schon deswegen einen groß Reiz aus beim Zusehen, weil sie der Norm der wiederholenden Steps mit vorgefertigten Armbewegungen entgegen steht. Und während sich die drei mühen und weiter verausgaben im antreibenden Sprech der Predigerin – „pink liberation“, „heart of darkness comes light“; „our only output is our sweat“, „pink, blood, sweat“ –, schleichen sich kleine abweichende Formen ins Vokabular – eine Kopf- und Körperdrehung, ein tänzerischer Arm, ein geschwungenes Bein – und verleihen der puren Fitness eine tanzkünstlerische Dimension.

Die Entschlossenheit ist im Eimer

Im Hintergrund der schillernden Trainerin vor weißer Wand machen sich zeitgleich Videobilder von Autos auf mehrspurigen Autobahnen, von mit Menschen überfüllten Straßen, von Windrädern und Großraumbüros Konkurrenz im beschleunigten Ablauf. Bis der Sound in schepperndes Trommeln umschwenkt und das Ganze kippt. Jetzt liegen zwei der Performer*innen völlig verausgabt am Boden und übergeben sich in Eimer – sie kotzen pinkfarbenen „Grit“, der metaphorisch gesehen für ihre „Entschlossenheit“ steht, die sie im nächsten Schritt der Predigerin wie in einer Kulthandlung überreichen. Daneben unternimmt die Kleinste und Leichteste von allen weitere Schritte, um an ihre Grenze zu kommen. Erst nach einer Weile geht auch sie zu Boden, bricht nach und nach zusammen in ihrem pinken Body, in dem sie wie eine zarte Ballettschülerin wirkt – alle Performer*innen hatten sich in der Zwischenzeit nach und nach ihrer Sportklamotten entledigt und tragen Tops und kurze Hosen in Pink. 

Pink als Bedeutungsträger

Es ist die Farbe der „Entschlossenheit“, der Gorlicki in „Grit“ jene doppelbödige oder mehrsinnige Dimension einschreibt – als Rosa Winkel zur Kennzeichnung homosexueller Häftlinge in den Konzentrationslagern der Nazis im Dritten Reich; als pinkfarbenes Dreieck von queeren Aktivisten in den 1970er Jahren umgedeutet und zu ihrem Symbol erklärt; als Modefarbe einer selbstbewusst feministischen Frauengeneration in den 1980er Jahren; – Pink hat als Farbe eine Geschichte mit vielen Facetten. In Gorlickis „Grit“ steht sie als Metapher für Schweiß und Blut der sich selbst optimierenden Menschen innerhalb einer Gesellschaft, die der Steigerungslogik folgt. Aber sie kann, wie die „Entschlossenheit“, auch anders eingesetzt werden: etwa in Kreativität und Experimentierfreude. In einer Szene von „Grit“ brechen die drei Performer*innen aus ihren gewohnten Step-Mustern aus und beginnen miteinander zu tanzen, integrieren dabei die Step-Boards spielerisch in ihren kreativen Tanz.

Der Körper als Wert und Ressource

Gorlicki und sein Inter-Actions Team konfrontieren das Publikum in „Grit“ mit dem Körper als Wert und als Arbeitsressource, die sich spiegeln lässt mit der Steigerungslogik einer kapitalistisch westlichen Welt. Am Beispiel von Körperkult und Fitnesskultur zeichnet der Choreograf ein abgründiges Gesellschaftsbild und spart dabei nicht mit Ebenen von Ironie und Witz. Und das ist sicher auch ein Markenzeichen seiner Werke. Entschlossenheit hat viele Gesichter, die von Inter-Actions großartig herausgearbeitet werden. Dabei kann das Publikum in tiefe Abgründe blicken und sich dennoch grandios unterhalten fühlen.

 

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