Tanz ist nicht für uns

Der Meister der libanesischen Tanzes, Omar Rajeh, bei den Potsdamer Tanztagen

Trotz Narben können kleine Pflanzen gedeihen, sinnbildlich gesprochen.

Potsdam, 26/05/2024

Die Tanzszene ist klein in Beirut, sie kennt sich in dieser Stadt am östlichen Mittelmeer, sie schützt sich und sie muss sich auch schützen. Niemand sonst kümmert sich in dieser von Bürgerkrieg zernarbten Stadt um den Tanz. Die Szene zeigt ihre Wunden, auch die, die hier die Explosion eines Silos im August 2020 verursachte, als 22 000 Häuser dem Erdboden gleichgemacht wurden in einer Zeit, als die libanesische Währung nichts mehr Wert war und die Menschen der Millionenstadt ihre Bleibe und all ihr Erspartes verloren. Diese Wunden tatsächlich zeigen zu können, gelingt nicht immer so meisterhaft, wie es Omar Rajeh in seinem Solo „Dance is not for us“ gelingt, einer Geschichte aus der Vergangenheit, die im Garten der Großeltern spielt, in den – so wird es am Ende heißen   ein Elefant vom Himmel fiel, der aufgrund des Gewichts „die Knochen der Stadt aus Liebe“ zerbrach.

Die Erzählung scheint sich wie selbst zu schreiben auf schwarzem Grund, projiziert auf Arabisch mit englischer Übersetzung im Hintergrund, während Rajeh zwischen einem Tisch und ganzen Batterien von frisch erwachsenen Basilikum-Pflänzchen aus einem Gewächshaus immer wieder wie, ja, explosionsartig seinen schweren Körper in die Waagschale wirft, ein Tänzer, der ein Zucken durch seinen wuchtigen Leib jagt und die schiere Grausamkeit der Vertreibung aus dem Paradies mit jedem Gliedmaß nachzeichnet.

„Dance is not for us“ ist ein Meisterstück der Erzählkunst, aus gedanklicher Schärfe und einer körperlichen Kunst, die sich immer wieder den eindringlichen Rhythmen aus der Tombak des Bielefelder Musikers Joss Turnbull zu entwinden versucht, die diesen Körper wie gegen den Willen des Tänzers fortreißt aus der Gegenwart in eine Vorstellungswelt, die von Utopie und Erinnerungen so gespeist ist, wie es die Fragmente der Texte sind.

Körperliche Präsenz existenzieller Not

Sie begleiten nahezu unablässig Omar Rajeh an der Rückwand, in Anspielung auf die Demonstrationen gegen die Regierung, auf die körperliche Präsenz von Menschen in existentieller Not, ihren Straßenkämpfen gegen den Tränengas versprühenden Staatsschutz, der Hoffnungslosigkeit dieser Körper, die sie vor vier Jahren ihren eigenen Repräsentanten entgegengeworfen haben. Omar Rajeh findet all das in seinem eigenen Körper, in pulsierenden Mikrobewegungen, die aus der Ohnmacht zu entstehen scheinen, nicht mehr handeln zu können, in den wie unwillkürlich geschlagenen Bewegungen, wie um auszuweichen, sich zu schützen vor den Traumata, die er und andere sich in diesen Augenblicken des politischen und wirtschaftlichen Niedergangs einfingen wie andere zur gleichen Zeit den Virus.

Auf der Bühne steht eine Zeder, der Symbolbaum des Libanon, gingko-klein, und ringsum eben der Basilikum in kleinen Töpfchen, die Omar Rajeh ins Publikum trägt, eine zarte Pflanze, nach denen alle begierig greifen und mit nach Hause tragen. Machen wir einen Salat aus diesem Werk des großen Meisters der Tanzkunst aus dem Libanon.

Mehr aus dieser Welt, in der Omar Rajeh gemeinsam mit seiner Frau und Tänzerin Mia Habis seit genau 20 Jahren ein Tanzfest gibt und die ein wundersames Nest gebaut haben, um ein Zentrum für den arabischen Tanz zu gründen, lest ihr hier.

 

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