„Ich bin im Knast, du Hure!“
Hip-Hop-Operette „MC Messer“ am Theater Oberhausen
Das hat sich wirklich alles richtig gut gefügt. Zekai Fenerci, Künstlerischer Leiter des Urban Arts Ensemble Ruhr (UAER) ist ein Netzwerker vor dem Herrn. Und das schon seit Jahrzehnten. Sein Herz schlägt dabei ohne Pause für den Hip-Hop. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis er auf den Zürcher Tänzer und Choreografen Muhammed Kaltuk aufmerksam werden würde. Und Fenerci war es auch, der ihm bald für eine Zusammenarbeit das Thema Liebe vorschlug.
Das Ergebnis hat das Publikum im Theater Gütersloh bei der Uraufführung von den Sitzen gerissen, allerdings brauchte es dafür ein paar Momente. Momente, in denen alle im Saal die volle Ladung Emotionen erst mal irgendwie bewältigen mussten.
„Same Love“ ist eine sehr beeindruckende, sehr berührende Arbeit. Kaltuk hat sich schon vor einiger Zeit von seinem Hip-Hop-Background wegbewegt und sich, deutlich sichtbar, dem Contemporary Dance zugewendet. Diese Tatsache war für die Tänzer*innen des UAER durchaus eine Herausforderung. Nur aber eben kein Problem. In den Urban Arts werden ohnehin die Stile vermischt, wie es eben passt. Und hier passt alles bis ins Detail.
Was Kaltuks Company MEK gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern des UAER geschmeidig auf die Bühne bringt, ist eine zeitlose Geschichte, die aber keine Handlung erzählt, sondern mit emotionalem Ausdruck Herausforderungen im Miteinander auf einer allgemein gültigen Ebene aufzeigt. Lose an Konstellationen aus „Romeo und Julia“ angelehnt, zeigt Kaltuk eine Gruppe von Menschen, die irgendeinen beliebigen Kulturkreis repräsentieren. Das Unklare daran hat Methode. Beide Ensembles sind ganz divers aufgestellt; die Musik (Gabriel Mareque in Zusammenarbeit mit Kaltuk) bedient sich sensibel aus den unterschiedlichsten kulturellen Sprach- und Klanglandschaften. Da steht etwa Orientalisches neben fernöstlich Anmutendem. Das verbietet ein Einordnen der einzelnen Szenen in vorgefertigte Schubfächer. Denn zu jeder Zeit und an jedem Ort ist es die „Same Love“ - im guten wie im schlechten Sinn.
Regeln befolgen, um zu gefallen
Liebe ist ein Ideal. Realität sind innerer Druck und Druck von außen, in Form von Erwartungen Anderer. Soziale Erwartungen, kulturelle, geschlechtliche ... Solche Erwartungen werden eben auch schon mal als unabdingbar „eingebläut“: Immer wieder erscheinen Bewegungen der Arme wie aggressive Schläge. Die aber sind nicht ausschließlich auf ein Gegenüber gerichtet. Auch sich selbst kann man die Einsicht in Notwendigkeiten versuchen „einzuprügeln“.
In der Gruppe lassen sich einzelne Figuren erkennen, ein Paar, Mann und Frau, getanzt von Egon Gerber und Elina Kim, die ihre Beziehung nach außen hin so gut sie können auf Basis jener Erwartungen ihres Umfelds gestalten. Immer wieder mit höflichem Gesichtsausdruck brav ausgeführte Kotaus. Um die Regeln zu befolgen. Um zu gefallen. Um Akzeptanz zu finden. Das Verbiegen der eigenen Identität ist die Folge. Nach innen, in ihrer Beziehung, suchen sie aneinander Halt, vermitteln sich gegenseitig Stärke, so gut sie es können. Dieser Schutz ineinander gelingt aber nur bedingt. Nicht selten werden dafür enorme Opfer erbracht. Das wohl eindrucksvollste Bild genau dafür gestaltet Kaltuk, indem er die kleine, fast schmächtig wirkende Frau den großen, starken Mann tragen lässt. Diese Symbolik ist so schlicht wie äußerst wirksam.
Die Verletzungen wiederholen sich
So gesehen funktioniert auch die Altersempfehlung von 12 Jahren für das Publikum richtig gut. Die Bewegungssprache ist immer wieder einfach lesbar, ohne vordergründig zu erscheinen. Hier ist nichts konzeptionell überfrachtet. Allerdings sollte man sich als Zuschauer*in nicht zu sehr auf den Titelzusatz „Hip-Hop-Dance-Theater“ einschießen. Hip-Hop steht an diesem Abend nicht im Vordergrund. Dieser Abend gehört dem Contemporary. Trotzdem hat es da einen Battle; auch Moves aus dem Breaking sind eindeutig zu erkennen. Die Bewegungssprache insgesamt nutzt den inneren Druck des Hip-Hop, das Unbedingte des Ausdrucks, um ein wirklich enormes Maß an Emotionen auf die Bühne zu wuchten. Dramaturgisch ist das sehr dicht; zum Durchatmen kommt das Publikum kaum.
Der Mann und die Frau auf der Bühne, ob Kaltuk damit seine Eltern portraitiert, verrät er gern in einem persönlichen Gespräch. Was aber viel wichtiger ist: Im zweiten Teil lässt es sich so lesen, dass Earle Garnette hier den Sohn der beiden verkörpert, und es wiederholen sich die Dinge, jetzt also scheinbar in der nächsten Generation. Der Kampf um die eigenen Gefühle kann für uns selbst schon schwer genug sein und ist noch schwerer, wenn unser Umfeld uns zusätzlich mit Geboten und Verboten unter Druck setzt. Und Kaltuk gibt ganz offen zu, hier seinen eigenen Weg, seine eigene Entwicklung darzustellen. Genau das ist es, was die besondere emotionale Wirkung ausmacht. Seine eigene Geschichte, das heißt: türkische Wurzeln, Generation der Gastarbeiter*innen. Kaltuk selbst wurde in der Schweiz geboren. Und nach der Vorstellung verrät er im persönlichen Gespräch, dass er seit kurzem die Schweizer Staatsbürgerschaft hat. Das sagt er mit einer Mischung aus bescheidenem Stolz, tiefer Dankbarkeit und, ja, tatsächlich: Liebe.
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