„MC Messer“ von Neco Çelik

„Ich bin im Knast, du Hure!“

Hip-Hop-Operette „MC Messer“ am Theater Oberhausen

Kein Brecht, aber dann an vielen Punkten doch. Und das Urban Arts Ensemble Ruhr ist zum Glück nicht nur reine Deko. So sieht echter Genremix aus, klare Message inklusive.

Oberhausen, 20/04/2024

Ein Rückgriff auf die „Dreigroschenoper“ sollte es gerade nicht werden. Die neue Produktion am Theater Oberhausen wollte in ihrer Mischung aus Rap, Breaking, Schauspiel, Gesang und Live-Musik nicht Brecht, sondern das Original. Für „MC Messer“ lieferte also John Gays „The Beggar’s Opera“ die Vorlage, oder besser: einige Motive der Handlung. In der Stückeinführung erklärte Dramaturg Matthias Faltz, dass es trotzdem ein bisschen Brecht im Sinne des epischen Theaters geben würde. Also gibt es Kapitelüberschriften, zeitlich-inhaltliche Sprünge, überzogene Spielweise und überraschende Wendungen. „Das echte Leben“, wie es Faltz nannte.

Die Breaker als die Straßengang

Fünf Musiker, alle in dunkelblauem Adidas, geben im Wortsinn den Takt vor und übernehmen die Ansprache des Publikums. Sie sind es, die mittels der Kapitelüberschriften das Stück strukturieren und mit Cello und Saxofon fünf Performer*innen des Urban Arts Ensembles Ruhr auf die Bühne locken (Komposition: Michael Lohmann, Choreografie: Eva Pageix). Dabei ist das nicht die erste Zusammenarbeit des Hauses mit den Breakern. Das Ensemble unter der künstlerischen Leitung von Zekai Fenerci ist, als deutschlandweit erste professionelle, vom Land NRW geförderte Urban Arts Truppe, aus dem Verein Pottporus hervorgegangen. Das Theater Oberhausen selbst hat sich inzwischen so den Urban Styles geöffnet, dass Intendantin Kathrin Mädler sogar eine gesonderte Sparte für Urban Arts mit einem eigenen Ensemble eingerichtet hat. An einem Stadttheater, wohlbemerkt. Und ganz offenbar läuft die Sache ziemlich gut. Zwar war das Haus zur Premiere nicht ausverkauft, aber der Stimmung tat das keinen Abbruch. Das Publikum war hinsichtlich des Alters auffällig durchmischt. Unangenehm ins Auge fielen da nur zwei Frauen und ein Mann, die optisch gesehen gute Zirkuspferde abgegeben hätten, nur in Sachen Verhalten in der Öffentlichkeit durchaus noch mal hätten die Schulbank drücken dürfen. 

Der reiche Pöbel

Allerdings zeigte sich, dass deren „prolliges“ Verhalten Methode hatte: Bei den Schnöseln handelt es sich um das Ehepaar Springmann, einflussreiche Medienmogule, und deren Tochter Polly. Daran hätte Brecht sicherlich seine Freude gehabt. Aus dem Publikum heraus zieht das Schlitzohr MC Messer Polly auf die Bühne und schnappt sie damit ihren Eltern weg. 

Die beiden Rollen, Polly und MC Messer, sind mit Bush.ida und Shrimp Cake mit zwei Rappern besetzt worden. Letzterer gibt hier den Outcast mit Migrationshintergrund, ein Clankrimineller dem das schnelle Geld am besten schmeckt. Aggressiv entert er die Bühne, schüttelt die Lockenmähne und gibt erst mal ordentliche Affenlaute von sich. Willkommen im Diskurs des Rassismus! Der Ansatz wird herrlich ironisch gebrochen, indem MC Messer Polly einfach schultert und, ganz in der Manier von Tarzan, einfach von der Bühne trägt. Die entsetzten Springmanns (der Namensvetter Springer-Konzern lässt grüßen), sind selbstredend entsetzt. 

Ein gesellschaftliches Downgrade

Jennifer Ewert und Claudio Schulz-Keune geben diese überkandidelten reichen, äußerst einflussreichen Schnösel als hysterische Karikaturen. Deshalb bleibt man als Zuschauer*in doch etwas auf Distanz, wenn sie MC Messer als Tier, Abschaum und als gesellschaftlichen Downgrade bezeichnen. Wer sich bereits vor der Vorstellung unmöglich benimmt, hat seinen Ruf nun mal weg. MC Messer selbst aber versteht sehr gut, dass er nur als Quotenkanake gilt und rappt: „Gut genug, um eure Löcher zu flicken, aber nicht gut genug, um eure Töchter zu ficken“. Klare Ansage. 

Die Springmanns wollen natürlich um jeden Preis ihre Tochter zurück, setzen die offizielle Behauptung der Entführung in die Welt und nutzen ihre Kontakte dafür ein, um MC Messer abschieben zu lassen.

„Das echte Leben“ ist komplex

Neben der Rassismus-Debatte sind die Aspekte Migration, Machtmissbrauch und Abschiebepolitik offensichtlich und nicht unnötig verklausuliert. Im Rap ginge das auch gar nicht. Da wird das Kind beim Namen genannt. Gleichzeitig aber wird die Sache tatsächlicher Komplexität gerecht, denn „das echte Leben“ ist eben alles andere als einfach. Das zeigt sich auch in der Figur Brownies (Harun Raşit Çiftçi), dem ehemaligen „Bro“ von MC Messer. Wie Starsky & Hutch waren sie mal. Im Gegensatz zu MC Messer hat sich Brownie allerdings für „den geraden Weg“ entschieden und arbeitet für die Springmanns als Security Guy. Das wird für MC Messer Folgen haben. 

So geht Operette heute

Wer bei dem Begriff der Operette gern die Flucht ergreift, sollte sich unbedingt in diese Produktion wagen. Regisseur Neco Çelik hat bereits mehrmals mit den Performern von Pottporus zusammengearbeitet und das ganze unterhaltsam leichtfüßig gestaltet, sodass bei allen sozialen Widersprüchen und unschönen Realitäten der Spaß nicht zu kurz kommt. Eva Pageix hat mit ihrer Choreografie auch dramaturgisch dafür gesorgt, dass die Breaker nicht auf bloße Deko reduziert werden, was heutzutage leider in einigen Operettenhäusern immer noch inszenatorischer Usus ist. Stattdessen sind sie als Kleingangster mal ernster, mal ironischer Kommentar mit eigener Stimme. Der versprochene Genremix kommt hier völlig geschmeidig daher. Das ist ein Konzept, das komplett aufgeht.

 

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